Die konkurrierenden Universitäten Harvard und Yale kooperieren

… oder: Wie digitale Technologien und Erfahrungen aus MOOCs die Hochschulen verändern

Für mich war es die Nachricht der Woche, als das Wall Street Journal verkündete: „Coming Soon to Yale: A Class Taught by Harvard“. Die Yale-Universität wird einen Informatikkurs anbieten, bei dem Informatik-Vorlesungen der bisher im harten Wettbewerb stehenden Harvard-Universität per Live-Stream gezeigt werden. Zeigen uns hier zwei amerikanische Spitzenuniversitäten, wie es mit den Hochschulen weitergeht – dass Hochschulpersonal dank neuer digitaler Technologien, die inzwischen ausgiebig auch in Massive Open Online Courses (MOOCs) erprobt wurden, eingespart werden kann?

Ich bin bekanntlich ein Fan von Online-Fernkursen und MOOCs. Ich habe an einem Harvard-Fernkurs und vielen MOOCs teilgenommen und bin damit an das Lernen mit Videomitschnitten von Vorlesungen, mit Live-Streaming von Seminaren, Kommunikation über Foren und Social-Media-Plattformen gewohnt. Nun, ich bin eine erwachsene Frau, die schon einen spannenden Bildungs- und Berufsweg hinter sich hat: Mittlere Reife, Lehre, zweiter Bildungsweg, Studium, Beruf, Umschulung, neuer Beruf und ständige Weiterbildung. An MOOCs nehme ich teil, weil es mir Spaß macht, neue Dinge zu lernen. Manche MOOCs brachten mich beruflich weiter, mit anderen trainiere ich nur meine grauen Zellen und bei wieder anderen gefällt es mir, mir mit anderen zusammen Gedanken zu einem Thema zu machen.

Andere Menschen wiederum schauen mit großer Sorge auf diese Entwicklung. Sie fürchten, dass die (Hochschul-) Bildung dank digitaler Technologien und MOOCs zu einer anonymen Massenabfertigung verkommen könnte und dass das Lehrpersonal zunehmend wegrationalisiert werden würde. Sie warnen, dass den Heranwachsenden oder jungen Erwachsenen bald der Kontakt zu (wissenschaftlichen) Vorbildern fehlen und dass es kein direktes persönliches Feedback durch den Professor oder die Professorin mehr geben würde.

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Droht die anonyme Massenabfertigung in der Hochschulbildung? Die Nachricht, dass die Yale-Universität Harvard-Informatikvorlesungen als Live-Stream nutzt, könnte man als Zeichen dafür interpretieren, dass die Entwicklung in diese Richtung geht. Ich glaube das nicht. Live-Übertragungen, Videos oder gar ganze MOOCs sollen ja nicht das gesamte bestehende System ersetzen. Aber Aufzeichnungen von gut gemachten Vorlesungen oder Seminaren können Grundwissen und Praxis in manchen Fächern besser und effizienter vermitteln, als manche Präsenzvorlesung im überfüllten Hörsaal es könnte. Ein Beispiel dafür ist der Informatikkurs CS50, den ich zufällig dieses Jahr als MOOC absolviert habe (CS50x – Harvard bei edX.org) und der nun in Yale per Liveübertragung (der aktuellen Vorlesungsreihe) integriert wird, – wobei umgekehrt auch Harvard wenigstens eine Yale-Vorlesung live-streamen will, denn Yale will neue Inhalte beitragen.

Der CS50-Kurs von Harvard-Professor David Malan hat seit ein paar Jahren Kultstatus, weil er eine sehr anschauliche und praxisnahe Einführung in das Programmieren, in die Softwareentwicklung und in die Entwicklung von Webanwendungen bietet. Er beginnt einfach – denn er wird als Einsteigerkurs angeboten -, aber er steigert sich schnell zu anspruchsvollen Aufgaben aus den Bereichen Spieleentwicklung, Computer-Forensik, Webanwendungen unter Einbindung von Yahoo Finance oder Google Earth und mehr. Der Kurs ist herausfordernd, praxisnah und belohnt mit Erfolgserlebnissen, die dem Studierenden das Gefühl geben, schon ein Mitglied der weltweiten Entwicklergemeinde zu sein – wobei betont wird, dass es nicht darum geht, sich mit den KommilitonInnen zu messen, sondern auf die eigene Entwicklung zu achten.

Yale möchte seinen Studenten etwas Ähnliches bieten. Statt aber einen Abklatsch von CS50 in Yale aufzubauen, was dort neue Ressourcen erfordern würde,  will man mit Harvard kooperieren und dabei aber auch neue Inhalte und Perspektiven beitragen. Insofern rationalisiert diese Kooperation meines Wissens nach nicht vorhandenes Lehrpersonal weg, aber erspart die Aufstockung vorhandener Ressourcen. Übrigens: Auch die normal eingeschriebenen Studierenden in Harvard nutzen bereits seit Jahren (zusätzlich) die Aufzeichnungen ihrer und die vergangener Vorlesungen – einfach, weil dies hilfreich ist und das Lernen nach persönlichem Bedarf unterstützt. Ich meine: Wer als Kursleiter Übertragungen guter Vorlesungen oder auf Video aufgezeichnetes Lernmaterial verwendet, hat mehr Zeit für anspruchsvollere Aufgaben: für das Anleiten und Betreuen bei herausfordernden Aufgabenstellungen, für Exkursionen, Organisation von Gastredner-Veranstaltungen, für Interviews von VIPs aus der Branche, für mit den Studierenden gemeinsam zu organisierende Events, Messen (Beispiel: CS50 Fair) o. Ä. und auch für direkte Gespräche mit den Studierenden.

Ich persönlich empfinde das Anschauen einer gestreamten Vorlesung oder einer Videoaufzeichnung auch gar nicht als anonymes Lernen – nicht mal bei den „Massenveranstaltungen“ der MOOCs. Tatsächlich war ich meistens von der Freude euphorisiert, mit vielen anderen Menschen zusammen lernen zu dürfen und wenigstens virtuell ein bisschen Harvard-, Stanford- und die Luft anderer bekannter Universitäten zu schnuppern – von zu Hause aus. Man spürt beispielsweise das Interesse und Engagement des Dozierenden daran, mit wie viel Kreativität und Intensität sie oder er schwierige Themen anschaulich und begreifbar macht. Und man kann jederzeit auch seine eigenen Ansichten oder Fragen äußern, denn gute MOOCs oder Fernkurse sind so konzipiert, dass sie die Kommunikation fördern: die Kommunikation zwischen den Teilnehmern und die Kommunikation zwischen Teilnehmern und Lehrpersonal (DozentInnen und ihre Hilfsstäbe). Erreicht wird das mit dem Einsatz von digitalen Kommunikationsplattformen/-technologien (Foren, Konferenzsoftware, Facebook-Chat, Google Hangout, Reddit etc.). (Das Video ist im erweiterten Datenschutzmodus eingebettet.)


The Geek Shall Inherit the Earth: David Malan stellt Interessierten seine Art der Informatikvorlesung bei den Harvard Master Classes vor (Harvard University Computer Science)

Die gute Betreuung auch großer Teilnehmerzahlen – sowohl die der Online- als auch die der Präsenz-Studierenden – ist in Harvard und bei anderen amerikanischen Universitäten durch das meiner Meinung nach sehr nachahmenswerte System der Einbindung älterer Semester als Teaching Assistants möglich. Die Teaching Assistants sind nicht nur Ansprechpartner – live vor, während und nach den Vorlesungen oder bei virtuellen Sprechstunden, per E-Mail, in Foren etc. -, sondern werden auch beauftragt, Anleitungen für Detailthemen als Lehrvideos aufzuzeichnen, die dann jeder Teilnehmer jederzeit nach Bedarf nutzen kann.

Dass die Teaching-Assistenten dabei selbst sehr viel lernen, beispielsweise über das Aufbereiten und Erklären von Themen, über Videotechnik, Auftreten, Feedbackverdauen (weil das Feedback der Studierenden immer wieder abgefragt wird) und vieles mehr versteht sich von selbst. Was die eingeschriebenen Präsenz-Studierenden den reinen Live-Stream/Video-/MOOC-Teilnehmern neben dem oben Genannten voraushaben, sind wöchentliche Mittagessen mit ihrem Professor und VIPs aus der IT-Branche, Programmierwettbewerbe und andere Events/Projekte vor Ort. Dieses auch im Falle der Kooperation von Harvard mit Yale oder anderen zu bieten, liegt in der Macht der Kursleiter vor Ort. Wie gut individuelle Betreuung gelingt, hängt meiner Meinung immer – sowohl online als auch bei physischer Präsenz – vom zahlenmäßigen Verhältnis von Kursleitung und Mitarbeiterteam zu Studierenden und dem Willen der Kursleitung ab.

Mein persönliches Fazit:
Die digitalen Technologien und die gewonnene Erfahrung in der Praxis (Online-Fernkurse und MOOCs) ermöglichen neue Kooperationsmöglichkeiten zwischen Schulen oder Universitäten. Die altehrwürdigen Universitäten Harvard und Yale machen es vor. Bei der Verbesserung von Effizienz, beispielsweise durch Ausnutzung von Live-Übertragung und Videoaufzeichnung von Vorlesungen, muss und sollte es nicht darum gehen, wegzurationalisieren, sondern darum, durch gemeinsame Anstrengungen und Kooperationen MEHR und das besser bieten zu können. Dann können alle gewinnen.

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Über Eva Schumann

Garten(bau) und Gärtnern sind meine Therapie und Leidenschaft und sie waren viele Jahre mein Beruf. Zu meinem Gartenbau-Studium kam ich über den zweiten Bildungsweg, denn da lernte ich den Spaß am Lernen und so wurde lebenslanges Lernen zu meinem Lebensmotto. Ich bin Fachfrau auf mehreren Gebieten, denn ich habe mehrere Ausbildungen (Einzelhandelskauffrau Parfümerie, abgeschlossenes Studium Gartenbau, Weiterbildung Netzwerk- und Internetmanagement, Schulungen technische Redaktion, IT, Mobilfunknetze, Programmierung, Datenbanken und mehr) und auch ausgiebig Berufserfahrung gesammelt. Daneben bin ich immer leidenschaftliche Hobbygärtnerin (Garten, Balkon, Terrasse) und Hobbybörsianerin (aus Begeisterung für das Internet) geblieben. Ich verdiene meinen Lebensunterhalt heute als freie Journalistin, Bloggerin, Texterin, Buchautorin und Technische Redakteurin (mehr siehe www.evaschumann.biz) sowie über meine werbefinanzierten Publikationen im Internet (Portalseite www.tinto.de). Buchen Sie Werbeplatz oder bestellen Sie frische Texte, Bilder oder anderen Content bei tinto@tinto.de oder eschumann@evaschumann.biz
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