In ihrem neuen Buch „Smarte grüne Welt? Digitalisierung zwischen Überwachung, Konsum und Nachhaltigkeit“, das gerade beim oekom Verlag erschienen ist, beleuchten die Autoren Steffen Lange und Tilman Santarius die Chancen und Risiken der Digitalisierung: Wie wirkt sie sich langfristig auf Wirtschaft, Umwelt, Arbeitsleben, Gesellschaft und Politik aus? Mein Fazit vorab: für jeden, der mitreden und am besten auch mitgestalten möchte, unbedingt lesenswert.
Smarte grüne Welt? Im ersten Moment, als ich den Titel las, dachte ich, es geht in dem Buch um Smart Garden – entsprechend Smart Home, nur mit smarten Gartengeräten. Doch in diesem Buch stehen:
- Smart für Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Machine Learning, Big Data, Industrie 4.0 etc.,
- grün für ökologisch, nachhaltig, energiesparend, ressourcenschonend etc. und
- Welt für Wirtschaft, Umwelt, Arbeitsleben, Gesellschaft, Politik, Demokratie, Teilhabe, Gerechtigkeit.
Als mir das klar wurde, war ich noch mehr interessiert, denn es soll mir mit der weiteren Digitalisierung nicht wie mit dem Internet ergehen, dessen Schattenseiten ich vor lauter Begeisterung (vor allem in den 1990er Jahren) lange nicht kommen sah. Ich erwartete, in dem Buch Aspekte und Hinweise zu finden, die mir helfen würden, die derzeitigen Entwicklungen wie Internet der Dinge (Internet of Things, IoT), Intelligente Geräte und Fahrzeuge, Intelligente Stromnetze, Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen, Big Data, Industrie 4.0 etc. und ihre Auswirkungen auf unser jetziges Leben und die Zukunft besser einordnen zu können.
Was bringt die Digitalisierung für Ökologie, Demokratie und Gerechtigkeit?
Es versteht sich von selbst, dass jeder hofft, dass sich die Digitalisierung positiv auf unser Leben auswirkt. Steffen Lange und Tilman Santarius setzen als Ziel, dass sie sich positiv auf Ökologie und Gesellschaft auswirkt, dass sie beispielsweise zur Energieeinsparung, Ressourcenschonung und Verlangsamung des Klimawandels beiträgt, gleichzeitig positiv für den Einzelnen ist und auch Demokratie und Gerechtigkeit weiterbringt. Daraufhin klopfen sie bereits zu beobachtende Entwicklungen und Auswirkungen sowie Zahlen aus Studien ab und versuchen, die mögliche Zukunft abzuleiten. Tatsächlich überlegen sie, ob gerade das Disruptive (Das-Alte-Zerstörende), das neue Technologien mit sich bringen, helfen könnte, die Gesellschaft ökologischer, sozialer und gerechter zu machen – kommen aber später zu einem anderen Fazit.
Das Buch zeigt viele positive Entwicklungen und Chancen der Digitalisierung auf, die jedoch häufig durch Rebound- und andere Effekte kompensiert werden. Beispiele für den Rebound-Effekt: Durch Effizienzsteigerungen dank dezentraler regenerativer Stromerzeugung und Digitalisierung könnte man Strom sparen, durch smarte Geräte mehr Freizeit haben, wenn Produkte billiger werden, Geld für anderes haben etc., doch tatsächlich führen Effizienzsteigerungen in der Wirtschaft meist zur Produktionserhöhung und damit zum Mehrverbrauch von Rohstoffen und statt mehr Freizeit zu genießen, weil vieles durch die Digitalisierung einfacher wird, werden von den meisten Menschen zusätzliche Aufgaben wahrnommen und statt eingespartes Geld für Sinnvolles einzusetzen, wird mehr Unsinniges gekauft.
Bis jetzt sieht es jedenfalls nicht so aus, als ob am Ende der Digitalisierung automatisch eine smarte grüne Welt im obigen Sinne steht, in der alle vom technologischen Fortschritt profitieren und wir zugleich schonender mit unserer Umwelt umgehen. Vieles deutet eher Richtung „Digitalem Kapitalismus“ oder „Digitalem Neofeudalismus“, in dem sich Geld, und dadurch wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Macht, auf Wenige konzentrieren – viele von denen Nutznießer, die selbst keinen Beitrag zur Infrastruktur derer leisten, an denen sie unvorstellbar viel Geld verdienen, was wiederum (zusammen mit der Globalisierung und Anderem) zur Ungleichverteilung beiträgt. Gleichzeitig droht die Gefahr, dass auch die digitalisierte Wirtschaft Klima und Umwelt stärker belastet, als die Erde verkraften kann.
Lange und Santarius werfen angesichts der beobachteten Entwicklung und Gefahren nicht das Handtuch, sondern entwickeln Prinzipien, wie eine nachhaltige Digitalisierung aussehen könnte, und eine Agenda, damit dies gelingt und die Digitalisierung die Welt doch smarter macht und alle davon profitieren.
Lesestoff zum Nachdenken
Meine Erwartungen an das Buch wurden auf jeden Fall erfüllt. Auch wenn ich persönlich nicht jeder Argumentationskette folge und bei zwei oder drei Zuspitzungen beim Lesen kurz zusammenzuckte, fand ich das Buch unbedingt lesenswert und empfehle es jedem, der mitreden und mitgestalten möchte – je mehr Menschen sich für das Thema interessieren und die verschiedenen Aspekte in die öffentliche Diskussion tragen, desto mehr ist auch die Politik gezwungen, sich nicht nur auf erhoffte wirtschaftliche Auswirkungen von Industrie 4.0 zu konzentrieren, von denen man nicht weiß, ob sie wirklich eintreffen, sondern den Blick zu weiten und die entsprechenden Themen und Nebenwirkungen wie Datenschutzprobleme, Monopolisierung, Ungleichverteilung, Manipulation, Überwachung etc. im Sinne der Bürger in Angriff zu nehmen. Sehr gut gefallen hat mir auch das Plädoyer für eine sanfte Digitalisierung am Ende des Buches.
Die Autoren
Dr. Steffen Lange ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) in Berlin und ehrenamtlich bei Konzeptwerk Neue Ökonomie und anderen Projekten tätig.
Prof. Dr. Tilman Santarius ist wissenschaftlicher Autor und lehrt/forscht über Sozial-ökologische Transformation und nachhaltige Digitalisierung an der TU Berlin und am Einstein Center Digital Futures (ECDF).
Buchdaten
Smarte grüne Welt*
Digitalisierung zwischen Überwachung, Konsum und Nachhaltigkeit
Steffen Lange und Tilman Santarius
oekom verlag** München, 2018
ISBN-13: 978-3-96238-020-5
* Werbelink
** Ich habe ein kostenloses Rezensionsexemplar vom Verlag erhalten
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