Vertical Farming – was ist das eigentlich?

Vertical Farming treibt Zukunftsforscher, Gartenbauer und Städteplaner um und ist seit einiger Zeit auch eines der Buzzthemen in den Medien. Meist wird der Ausdruck im Zusammenhang mit Urban Gardening/Urban Farming, mit Indoor Farming und mit erdeloser Pflanzenkultur gebraucht. Doch man wundert sich: Manche reden schon beim Gebrauch eines einzelnen Balkonkastens von Vertical Farming, andere versuchen, Übereinander-Stecksysteme von Pflanzschalen mit diesem Modewort zu vermarkten, und wieder andere bieten Pflanzenanbau-Schränke genannt plantCube für die Küche an, für die man statt eines grünen Daumens angeblich nur eine App braucht. Was ist Vertical Farming tatsächlich?

Ist ein Schrank mit zwei Fächern übereinander für den Pflanzenanbau, genannt plantCube, Vertical Farming?
Pitch auf der ECO15 Berlin von Maximilian Lössl/Agrilution für den plantCube
(YouTube, der plantCube ist bei 1:25/7:00 zu sehen)

Was ist Vertical Farming?

Vertical heißt übersetzt vertikal, Farming bedeutet Landwirtschaft oder Landbau. Vertical Farming ist also der landwirtschaftliche Anbau übereinander in Etagen statt Anbau auf nur einer Ebene, wie man es in der normalen Landwirtschaft im gewachsenen Boden meistens hat. Der Anbau übereinander nutzt die vorhandene Fläche besser aus. Unter Vertical Gardens (vertikale Gärten) versteht man dagegen eher die Begrünung von Hauswänden/Fassaden zur Luft- und Klimaverbesserung sowie zur Verschönerung.

Etagenanbau von Kräutern in einem Regal

Auch das ist Vertical Farming:
Etagenanbau von Kräutern in einem Regal

Oft sind mit Vertical Farming Pflanzenfabriken und Pflanzenanbau-Container gemeint, in denen niedrige Nahrungspflanzen in Rinnen oder Tabletts übereinander in Regalfächern stehen. Das gibt es bereits in den Metropolen, vor allem in Amerika und Asien, aber auch in abgelegenen Gebieten mit schwierigem Klima oder Lichtverhältnissen. Bewässert und ernährt werden die Pflanzen in der fensterlosen Pflanzenfabrik und im Pflanzenanbau-Container über eine zirkulierende Nährlösung, Licht erhalten sie durch LED-Lampen. Diese Art vertikaler Anbau ist auch in einem Gewächshaus, wie beispielsweise im Turmgewächshaus von Othmar Ruthner in den 1960er Jahren oder im Gewächshaus auf einem Supermarktdach, möglich, wobei dann das natürliche Licht weitmöglichst genutzt wird – zumindest für die obersten und äußeren Pflanzen -, das hat allerdings den Nachteil, dass dann nicht mehr alle Pflanzen völlig gleich behandelt sind, was theoretisch Schwierigkeiten in der weiteren Steuerung und der automatisierten Ernte zur Folge haben kann.

Ist der Pflanzenanbau in einem umgebauten Frachtcontainer, hier genannt Leafy Green Machine, Vertical Farming?
2015 Leafy Green Machine by Feight Farms (YouTube)

Manche Visionäre des Vertical Farmings wie Dickson Despommier hatten sogar Wolkenkratzer, die in jedem Stockwerk eine Pflanzenfabrik für andere Nahrungspflanzen oder eine Tierzucht beherbergen, vor Augen. Inzwischen – siehe unten im Video – definiert Despommier eine Vertical Farm als jedes Gebäude, das höher ist als ein Gewächshaus und wo etwas drin wächst.

Father of Vertical Farming Answers: Can This Really Work (David Pakman Show, YouTube)

Was hat ein einzelner Balkonkasten mit Vertical Farming zu tun?
Einen einzigen Balkonkasten mit Kräutern würde ich jedenfalls nicht als Vertical Farming bezeichnen, aber wenn man eine Wand mit Haltern für viele Balkonkästen ausstattet oder ein Regal nutzt, wo zwecks besserer Platzausnutzung die Balkonkästen oder Töpfe übereinander angebracht sind, ist das per Definition durchaus vertikaler Anbau – auch wenn es nicht das ist, was die High-Tech-Visionäre oder die großen Technologieunternehmen, die mit den technikbasierten Pflanzenfabriken Geld verdienen wollen, darunter verstehen.

Teilweise werden aber auch kleinere (im Vergleich zur Pflanzenfabrik) vertikale Anbausysteme für niedrige Gemüse, Salate und Kräuter von handwerklich begabten Tüftlern selbst konstruiert oder als schlüsselfertiges, automatisiertes vertikales System verkauft:

Wie ökologisch ist Vertical Faming?

Vertical Farming als Ausprägung des urbanen Anbaus ohne Boden und ohne erdeähnliche Substrate in Hydroponik wird von vielen kritisch gesehen: Wenn man nämlich eher dem biologischen Anbau (Organic Farming) anhängt, bei dem der gute Umgang mit dem Boden, die Pflege der Bodenlebewesen sowie die Kreislaufwirtschaft (Kompostierung von Pflanzenabfällen und Ausbringung des reifen Rotteprodukts als Dünger und Bodenverbesserer) eine zentrale Rolle spielen, schluckt man angesichts der erdelosen Kultur, dem Einsatz von mit hohem Energieaufwand hergestellten, mineralischen Stickstoffdünger für die Nährlösung und dem hohen Einsatz an Technik, der im Falle der Pflanzenfabriken nicht nur Ressourcen verbraucht, sondern auch den menschlichen Gärtner und Gartenarbeiter weitgehend überflüssig macht.

Was für den vertikalen Anbau allgemein und speziell den kommerziellen vertikalen Anbau in Pflanzenfabriken oder Pflanzenanbau-Containern spricht, sind vor allem die bessere Platzausnutzung, die Wetter- und Jahreszeitenunabhängigkeit und die Nähe zum Verbraucher (Frische, weniger Umweltbelastung durch Transport, weniger Verbrauch von Erde, leichtere Direktvermarktung). Wenn die Hydroponik als geschlossenes System durchgeführt wird, ist sie wasser- und nährstoffsparend. Werden Hydroponik, Aquakultur (Fischzucht) und spezielle Mikoroorganismen zur sogenannten Aquaponik kombiniert, werden die Fischausscheidungen als Pflanzendünger verwertet – was biologischen Ansprüchen schon näher kommt. Das gilt auch, wenn statt normalem mineralischen Hydroponikdünger zugelassene Biodünger + Mikroorganismen verwendet werden („Bioponik“). Zwar können die Produkte nicht als Bio nach europäischen Regeln deklariert werden, da kein Boden gepflegt wird, aber wenn ansonsten alles nach ökologischen Ansprüchen abläuft, wird auch ein umweltbewusster Verbraucher solche Erzeugnisse aus seiner Region vermutlich akzeptieren.

Mein Fazit

Weil die Menschen leider immer noch der Arbeit und einer ordentlichen Infrastruktur hinterherziehen müssen, wohnen sie zunehmend in Städten. Und dort wird Platz immer weniger und teuerer. Deshalb glaube ich, Vertical Farming wird sich weiterentwickeln und an Bedeutung gewinnen – und zwar sowohl, was die hochtechnisierten Pflanzenfabriken, als auch die kleinen Systeme im Privatbereich mit oder ohne viel Technik betrifft. Man sollte als Verbraucher allerdings immer kritisch bleiben, was einem mit solchen Modebegriffen angedreht werden soll.

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Über Eva Schumann

Garten(bau) und Gärtnern sind meine Therapie und Leidenschaft und sie waren viele Jahre mein Beruf. Zu meinem Gartenbau-Studium kam ich über den zweiten Bildungsweg, denn da lernte ich den Spaß am Lernen und so wurde lebenslanges Lernen zu meinem Lebensmotto. Ich bin Fachfrau auf mehreren Gebieten, denn ich habe mehrere Ausbildungen (Einzelhandelskauffrau Parfümerie, abgeschlossenes Studium Gartenbau, Weiterbildung Netzwerk- und Internetmanagement, Schulungen technische Redaktion, IT, Mobilfunknetze, Programmierung, Datenbanken und mehr) und auch ausgiebig Berufserfahrung gesammelt. Daneben bin ich immer leidenschaftliche Hobbygärtnerin (Garten, Balkon, Terrasse) und Hobbybörsianerin (aus Begeisterung für das Internet) geblieben. Ich verdiene meinen Lebensunterhalt heute als freie Journalistin, Bloggerin, Texterin, Buchautorin und Technische Redakteurin (mehr siehe www.evaschumann.biz) sowie über meine werbefinanzierten Publikationen im Internet (Portalseite www.tinto.de). Buchen Sie Werbeplatz oder bestellen Sie frische Texte, Bilder oder anderen Content bei tinto@tinto.de oder eschumann@evaschumann.biz
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