Heimische Pflanze, alteingewanderte oder Neophyt – alles eine Frage der Zeit

Pflanzen, die nicht heimisch sind und erst nach 1492 eingeführt wurden, sind bei vielen als Neophyten geradezu verschrien. Dabei sind auch die als heimisch geltenden Lebewesen und Lebensgemeinschaften irgendwann irgendwoher gekommen und haben sich angesiedelt, wenn die Bedingungen passten. Es ist dasselbe Prinzip, nur bei den einen schon länger her als bei den anderen.

Nur an isolierten Standorten, beispielsweise abgelegenen Inseln wie den Galapagos- und den Hawaii-Inseln, entwickelten sich endemische Arten, die es nur an diesem einen Standort gibt. Ansonsten fand und findet ein Austausch von Pflanzen und anderen Lebewesen statt, einerseits durch Wind, Wasser und Wildtiere, aber auch durch die Wanderbewegungen, Neubesiedelungen, Kriege und Handelstätigkeiten des Menschen.

Der von Mai bis Oktober blühende Schmetterlingsflieder (Buddleja davidii) ist ein von manchen Naturschützern geächteter Neophyt, wird von Schmetterlingen, Bienen, HobbygärtnerInnen, ImkerInnen und anderen aber sehr geschätzt.

Wenn die Bedingungen am neuen Standort passen, keimen die angeflogenen Samen oder Samen aus von Menschen mitgebrachten Früchten und besiedeln den Platz. Und wenn sich der Standort von alleine oder durch die Tätigkeit des Menschen im Laufe der Zeit verändert (Mahd, Beweidung, Pflanzenbau, Düngung etc.), verändern sich auch die dortigen Arten und Lebensgemeinschaften – entweder können sie sich anpassen oder sie werden durch das Erstarken anderer Lebewesen (die besser dorthin passen, aber bis dahin ein Nischendasein fristeten) oder durch ganz neue Besiedler ganz oder teilweise verdrängt.

Heimisch, alteingewandert oder Neophyt ist eine Frage der Zeit

Als indigene (einheimische, urwüchsige) Pflanzen bezeichnet man solche, die sich ohne den Einfluss des Menschen in einem Gebiet ausgebreitet haben. Sie haben sich aber nicht an diesem Standort aus einer ersten Pflanzenzelle im Laufe der Evolution über Lebermoos bis hin zu einer neueren Baumart entwickelt. Die erste Pflanzenzelle entstand nämlich im Meer (Urozean) und aus ihr entwickelten sich die ersten Pflanzen.

Die ersten Pflanzen an Land waren vermutlich eine Vorstufe von Lebermoosen, die irgendwie an Land gespült wurden und dabei nicht starben, sondern mit den Bedingungen zurechtkamen (die genauen Zeiten und Abläufe werden unter WissenschaftlerInnen noch diskutiert). Nach der „Landnahme“ folgten Ausbreitung, Weiterentwicklung, Spezialisierungen etc. über Millionen von Jahren.

Pflanzen, die wir heute an einem Standort als heimisch bezeichnen, haben sich irgendwann dort angesiedelt, als sie von Wind, Wasser oder Wildtieren dorthin gebracht wurden, sie die „Umsiedlung“ überlebt haben und dort längerfristig gedeihen konnten.

Dem gegenüber stehen die nicht einheimischen hemerochoren Pflanzen. Sie werden durch die Aktivitäten von Menschen und ihren Haustieren verbreitet. Erste Menschen der Art Homo sapiens gibt es seit etwa 300.000 Jahren, belegen Funde aus Afrika. Im mittleren Europa gibt es uns Homo-Sapiens-Menschen wahrscheinlich seit etwa 45.000 Jahren: Wir sind gerade erst aufgetaucht, gemessen an der bisher 4,6 Milliarden dauernden Erdgeschichte. Die Zeitangaben unterscheiden sich je nach Quelle und ändern sich mit jedem neuen Fund oder wissenschaftlicher Auswertung.

Bei diesen nichteinheimischen Arten unterschiedet man Archäophyten und Neophyten.

Archäophyten sind die etablierten „Alteinwanderer“, sie wurden bereits vor 1492 eingeführt. Das sind 226 Gefäßpflanzenarten (Pflanzen mit spezialisierten Leitbündeln: Bärlapppflanzen, Farne und Samenpflanzen). Sie stammen größtenteils aus dem vorder- oder zentralasiatischen Raum und umfassen besonders die Kulturfolger aus der Zeit der Neolithischen Revolution (8000 v. Chr. bis 2000 v. Chr.).

Zu den Archäophyten gehören beispielsweise Apfel, Birne, Pflaume, Weizen, Gerste, Klatschmohn, Kornblume, Echte Kamille und Kornrade. Sie werden – wie die einheimischen Arten – als schützenswert angesehen und die, die durch intensive Landwirtschaft bedroht sind, setzt man auch auf die Rote Liste der bedrohten Arten. 

Neophyten sind Pflanzenarten, die erst seit 1492 zu uns gelangt sind. Dazu gehören beispielsweise Kartoffeln, Tomaten und Mais. Allerdings verwildern die genannten wärmeliebenden, als Gemüse genutzten Pflanzen bei uns (noch) nicht, weil sie nicht frosthart sind. Das taten aber viele andere, beispielsweise Beifuß, Estragon, das Großblättrige Kaukasusvergissmeinnicht, die Italienische Ochsenzunge, Löwenmäulchen und viele andere (Liste der Neophyten bei Wikipedia).

Ungefähr 433 neue Gefäßpflanzenarten haben sich etabliert – etwa die Hälfte wurden eingeführt, die anderen wurden unbeabsichtigt eingeschleppt. Außerdem kommen 1.600 Neophyten unbeständig vor, d. h., sie verschwinden auch wieder.

[Das Jahr 1492 wählte man, weil es das Jahr war, in dem Kolumbus Amerika „entdeckte“. Es gilt vielen als Epochengrenze zwischen Mittelalter und Neuzeit. Von Entdeckung kann nicht wirklich die Rede sein: Kolumbus war auf der Suche nach Indien versehentlich auf einer Bahama-Insel gelandet. Er und seine Begleiter waren auch nicht die ersten Menschen, die den amerikanischen Kontinent entdeckt und betreten haben, denn die Menschen die bereits dort lebten, waren viel früher dort angekommen. Tatsächlich war Amerika 15.000 Jahre zuvor besiedelt worden – von anderen Menschen, die wie wir alle ursprünglich aus Afrika stammten, unsere Ahnen sind nur zu verschiedenen Zeiten aufgebrochen und/oder sie haben verschiedene Routen genommen.]

Als invasiv mit unerwünschten Auswirkungen gelten 38 Arten der Neophyten, darunter der Riesen-Bärenklau (Heracleum mantegazzianum), die Beifuß-Ambrosie (Ambrosia artemisiifolia), Japan- und Sachalin-Knöterich (Fallopia japonica, F. sachalinensis), Kanadische und Späte Goldrute (Solidago canadensis, S. gigantea) sowie das Indische Springkraut. Es gibt aber auch Stimmen, die sagen, dass das Indische Springkraut nicht, wie behauptet, andere Arten verdrängt, sondern von Standortveränderungen wie Nährstoffeintrag profitiert, mit denen andere nicht klarkommen.

Aus naturwissenschaftlicher Sicht sind invasive Arten nicht per se negativ. Je nach Art und Situation kann die invasive Art die biologische Vielfalt eines Standortes/Ökosystems erhöhen oder verringern.

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Karibik in den Alpen?

In den Alpen findet man an verschiedenen Standorten jede Menge fossile Korallen, Fischschuppen tropischer Fische und Muschelreste. Das sind Überreste aus einer Zeit, als die Flächen, die jetzt bestimmte Regionen der Alpen ausmachen, noch am Meeresgrund des Urmeeres Tethys lagen. Niemand käme auf die Idee zu sagen, wir brauchen in den Alpen karibische Korallenbänke, tropische Fische und Muscheln, nur weil das irgendwann mal die heimischen Lebewesen waren – nein, der Standort hat sich verändert: Gebirge haben sich gebildet, das Meer ist weg, die Höhenlage und damit das Klima sind völlig anders und so leben hier nun andere Pflanzen und Tiere.

So fing es mit den Pflanzen an Land an

Die Erde ist 4,6 Milliarden Jahre alt, grob 4 Milliarden davon war sie ohne Landpflanzen. Im Meer dagegen hat sich Leben entwickelt und als sich ein tierischer Einzeller eine Bakterie einverleibte, die in der Lage war, mit Hilfe von Farbstoffen Licht in Energie umzuwandeln, war die erste Pflanzenzelle entstanden.

Die ersten Pflanzen an Land waren vermutlich Vorstufen der Lebermoose. Wollen wir zu diesem „ursprünglichen Zustand“ zurück? Natürlich nicht.

Mit dem Beginn der Photosynthese vor etwa 2,3 Milliarden Jahren begann sich die Erdatmosphäre zu verändern, denn die Pflanzen entzogen der Atmosphäre Kohlendioxid für ihre Photosynthese und sie trugen zur Verwitterung der Gesteine bei. Letzteres führte zu einer Verbindung von Kohlendioxid mit ins Meer geschwemmten Kalzium- und Magnesiumionen. Dies und andere Faktoren minderten nach heutigen Kenntnissen den damaligen Treibhauseffekt und es wurde kühler, gleichzeitig gelangte zunehmend Sauerstoff in die Atmosphäre.

Zunächst gab es Moosarten, später auch Gefäßpflanzen, dann traten erste amphibisch lebende Landtiere und geflügelte Insekten auf. Vor 359 bis 299 Millionen Jahren gab es riesige Wälder aus Farnen, Schachtelhalmen und Bärlapp-Pflanzen.

Krasse Unterbrechungen

Insgesamt weiß man heute von etwa 15 großen Aussterbeereignissen von Lebewesen auf der Erde. Ursache waren meist Klimaveränderungen hervorgerufen durch Vulkanausbrüche, Meteoriteneinschläge und andere einschneidende Ereignisse.

Das bisher größte Aussterbeereignis, wahrscheinlich von Vulkanausbrüchen verursacht, fand an der Grenze vom Perm (vor 299 bis 251 Mio. Jahren) zur Trias (vor 251 bis 201 Mio. Jahren) statt: Drei Viertel aller Land- und ein großer Teil der Meereslebewesen starben aus. Aber die Natur hat sich erneuert und neue Pflanzenarten entwickelten sich, beispielsweise Bedecktsamer („Blütenpflanzen“).

Beim nächsten großen Aussterbeereignis, wahrscheinlich verursacht durch einen Meteoriteneinschlag vor etwa 66 Millionen Jahren, starben die Dinosaurier aus. Danach haben sich Säugetiere und Blütenpflanzen besser entwickeln und ausbreiten können.

Veränderte Landschaften

Naturlandschaft, vom Einfluss des Menschen nicht beeinträchtigte Landschaft, gibt es so gut wie gar nicht mehr, weil unsere Umweltverschmutzung und sonstige Beeinträchtigungen überall auf der Erde zu finden sind.

Was die natürliche Vegetation betrifft, hätten wir in Deutschland ohne menschlichen Einfluss hauptsächlich Laub- und Mischwälder und an einzelnen Standorten Heide, Moore oder vegetationsarme Hochlagen.

Unsere Landschaft und deren Vegetation wird aber kaum sich selbst überlassen, sondern überwiegend durch die Nutzung durch den Menschen geprägt – es ist eine Kulturlandschaft: bewirtschaftete Wälder, Wiesen, Weiden und Weinberge ebenso wie Siedlungs- und Stadtlandschaften oder von Industrie und Wirtschaft geprägte Landschaften.

Die Auswirkungen der menschlichen Kultur sind nicht grundsätzlich schlecht für die Artenvielfalt: So gibt es die blumen- und insektenreichen Bergwiesen nur auf extensiv beweideten Flächen. Ohne sie würde sich der Wald ausbreiten und damit Blumen, viele Insektenarten, Murmeltiere und andere vertreiben. Die extensive Almbewirtschaftung ist für den Landwirt allerdings aufwändig und teuer und mehr und mehr Almen werden aufgegeben. (Bei Intensivbewirtschaftung, die auf niedrigeren Lagen möglich ist, geht die Artenvielfalt ebenfalls verloren und andere Nachteile mehr).

Auch die derzeitige, vom Menschen gemachte Klimaerwärmung verändert Standorte, beispielsweise verlagern sich die klimatischen Waldgrenzen an vielen Standorten weiter nach oben (wenn dort nicht andere Faktoren dagegen wirken). Wald wandert nun in Höhenlagen, wo es vorher zu kalt für Wald war. Und andererseits: Wo es vorher warm genug für bestimmte Baumarten war, wird es für diese nun möglicherweise bald zu warm und zu trocken sein. Die logische Folge, wenn man das Klima und andere Umweltbelastungen nicht zurückdrehen kann – was am besten wäre: Andere Arten müssen her beziehungsweise in diesen Wald dazu gepflanzt werden, um ihn zu stabilisieren.

Alles ist immer im Wandel

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Flächen ohne Vegetation werden zunächst von sogenannten Pionierpflanzen besiedelt. Ihre Samen werden meist über Wind oder Tiere an den Standort gebracht. Weil sie mit den oft extremen Bedingungen eines unbesiedelten Standortes (Temperaturunterschiede, nährstoffarmer Boden etc.) zurechtkommen und weil keine Konkurrenz da ist, die ihnen das Leben schwer macht, breiten sie sich aus. Oft verändern sie den Standort so, dass sich nun auch andere Pflanzen ansiedeln können (Sukzession), während sie selbst dabei oft verdrängt werden und per Samen neue Standorte erobern müssen. Am Ende entsteht jeweils ein zum Standort passender (temporärer) Klimaxzustand, der bei Veränderung der Standortbedingungen (Klima) aber wieder ein anderer werden muss.

Fazit

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Die Einteilung in heimische, alteingebürgerte und neue Pflanzen (Neophyten) ist kein Naturgesetz, sondern von Menschen gemacht. Ob ein Lebewesen invasiv im Sinne von „schädlich“ ist oder nicht, muss sorgfältig geprüft und dann auch überprüft werden (manchmal werden zunächst Aspekte übersehen wie beim Indischen Springkraut siehe bei Naturschutz neu gedacht oder natürliche Gegenspieler (wie Vögel, die Insekten fressen) lernen dazu und kommen auf den Geschmack wie beim Buchsbaumzünsler).

Die Natur organisiert sich bei Bedarf, besonders nach Krisen, wieder neu. Sie wird auch ohne uns Menschen weitergedeihen und eine neue Vielfalt hervorbringen, falls wir den Planeten so verändern sollten, dass wir selbst darauf nicht mehr leben können.

Die Natur hat ja Zeit: Nach heutiger Schätzung noch etwa 600 Mio. bis 1,2 Milliarden Jahre, dann wird die Leuchtkraft der Sonne zu hoch sein. Spätestens in etwa 1,6 Milliarden Jahren, je nach Szenario, sterben auch die letzten Bakterien und es gibt keine Lebewesen mehr. Aber wer weiß schon, ob sich dann nicht eine andere als die uns bekannte kohlenstoffbasierte Lebensform entwickelt.

Weiterlesen bei Naturschutz neu gedacht (tinto bloggt)

Quellen:

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Über Eva Schumann

Garten(bau) und Gärtnern sind meine Therapie und Leidenschaft und sie waren viele Jahre mein Beruf. Zu meinem Gartenbau-Studium kam ich über den zweiten Bildungsweg, denn da lernte ich den Spaß am Lernen und so wurde lebenslanges Lernen zu meinem Lebensmotto. Ich bin Fachfrau auf mehreren Gebieten, denn ich habe mehrere Ausbildungen (Einzelhandelskauffrau Parfümerie, abgeschlossenes Studium Gartenbau, Weiterbildung Netzwerk- und Internetmanagement, Schulungen technische Redaktion, IT, Mobilfunknetze, Programmierung, Datenbanken und mehr) und auch ausgiebig Berufserfahrung gesammelt. Daneben bin ich immer leidenschaftliche Hobbygärtnerin (Garten, Balkon, Terrasse) und Hobbybörsianerin (aus Begeisterung für das Internet) geblieben. Ich verdiene meinen Lebensunterhalt heute als freie Journalistin, Bloggerin, Texterin, Buchautorin und Technische Redakteurin (mehr siehe www.evaschumann.biz) sowie über meine werbefinanzierten Publikationen im Internet (Portalseite www.tinto.de). Buchen Sie Werbeplatz oder bestellen Sie frische Texte, Bilder oder anderen Content bei tinto@tinto.de oder eschumann@evaschumann.biz
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