Einheimisches ist nicht nur gut und Fremdes ist nicht nur schlecht. Zuwandernde Arten können sogar überlebenswichtig sein, sagen einige Ökologen heute und ziehen damit die Ablehnung der Naturschützer der alten Schule auf sich. Das Buch „Die neuen Wilden. Wie es mit fremden Tieren und Pflanzen gelingt, die Natur zu retten.“ von Fred Pearce zeigt, dass es Zeit für einen neuen Naturschutz wird. (Rezensionsexemplar ehalten, zuerst veröffentlicht am 21.6.2016, immer noch aktuell)
Es ist an der Zeit, mit der Dämonisierung von fremden Arten (auch „Invasives“, „Neophyten“ und „Aliens“ genannt) aufzuhören. Nicht alles, was fremd ist, ist feindlich. So auch im Naturschutz. Gebietsfremde Arten können beispielsweise Teil einer Lösung von menschengemachten Problemen sein. Die dickstieligen Wasserhyazinthen beispielsweise, die Wasserwege verstopfen können, treten nur da in Massen auf, wo das Wasser verschmutzt und zu nährstoffreich ist. Sie gehen weg, wenn die Ursache beseitigt ist bzw. sie das Wasser gesäubert haben und es keinen neuen Eintrag gibt. Ebenso tritt manche invasive Qualle nur da auf, wo andere Tiere nicht mehr leben können, weil das Wasser zu sauerstoffarm ist.
Oft wird von Naturschützern auch Ursache und Wirkung nicht getrennt, kritisiert Pearce. Die Invasivarten besiedelten oft Flächen, wo die Einheimischen wegen Umweltveränderungen bereits gestört oder sogar ausgerottet wurden. Daran ist aber nicht der Neophyt oder die invasive Art schuld. Beispielsweise hat sich die Caulerpa-Alge im Mittelmeer auf Flächen ausgebreitet, nachdem dort Süßgraswiesen wegen der Verschmutzung abgestorben waren. Die Alge kam mit den Bedingungen besser zurande, besiedelte den frei gewordenen Standort und filterte das Wasser. Und Überraschung: Sie beherbergt in ihrem Habitat mehr Spezies als vorher die Süßgraswiesen. Wo das Wasser wieder sauberer wird, zieht sie sich zurück.
Starre Ökosysteme und eine Heimatnatur gäbe es auf lange Sicht sowieso nicht. Nordamerika und Teile Europas waren vor 10.000 Jahren wegen der Eiszeit noch von Eis bedeckt. Seitdem werden die neuen Flächen von allen Seiten aus kolonialisiert. Bei diesen Kolonialisierungen spielen und spielten Zufall, Wetter (-Extreme), Strömungen, Menschenwanderungen, Natur- und Landschaftspflegephilosophien der jeweiligen Zeit und Kultur, Schiffsverkehr (Ballastwasser-Ablassung) und vieles andere eine Rolle.
Entgegen früheren Annahmen seien Ökosysteme oft nicht einmal durch eine gemeinsame Entwicklung entstanden. Wie die Insel Ascension im Südatlantik zeige, wo Pflanzen aus aller Welt ausgesetzt wurden, können sie doch zu einem erfolgreichen Ökosystem werden – man spricht hier vom ökologischen Fitting. Die bereits vorhandenen tierischen Arten freuen sich über den Schutz, die gespeicherte Feuchtigkeit, Schatten oder die Nahrung, die ihnen die fremden Arten bieten. Sie bestäuben sie und sie verteilen ihre Samen.
Natürlich gibt es auch Negativbeispiele, aber man muss eben genau hinschauen und die positiven Seiten sowie die negativen Seiten der alten und der neuen Spezies betrachten, bevor man eingreift – wenn man sich denn dazu entscheidet. Es darf nicht mehr so sein, dass das Alte immer das Gute ist und die Neuen verteufelt und ausgerottet werden müssen. Meist hat es einen Grund, warum plötzlich etwas Neues Fuß fassen kann: beispielsweise, weil ein Platz unbesiedelt ist oder es eine Veränderung der örtlichen Bedingungen gegeben hat. Abgesehen davon, dass oft auch beide Arten nebeneinander existieren können. Mehr Artenvielfalt bedeutet dann auch mehr Flexibilität bei Veränderungen, sei es durch das Klima oder andere (menschengemachte) Veränderungen.
Natürlich gibt es auch Negativbeispiele, aber man muss eben genau hinschauen und die positiven Seiten sowie die negativen Seiten der alten und der neuen Spezies betrachten, bevor man eingreift – wenn man sich denn dazu entscheidet. Es darf nicht mehr so sein, dass das Alte immer das Gute ist und die Neuen verteufelt und ausgerottet werden müssen. Meist hat es einen Grund, warum plötzlich etwas Neues Fuß fassen kann: beispielsweise, weil ein Platz unbesiedelt ist oder es eine Veränderung der örtlichen Bedingungen gegeben hat. Abgesehen davon, dass oft auch beide Arten nebeneinander existieren können. Mehr Artenvielfalt bedeutet dann auch mehr Flexibilität bei Veränderungen, sei es durch das Klima oder andere (menschengemachte) Veränderungen.
Und: Wie anders sollen Arten gedeihen und auf den Klimawandel reagieren, als durch das Vordringen in neue Territorien?
Auch die Hawaii-Inseln, wo sich die Old-School-Invasiv-Biologen mit den „ketzerischen“ Vertretern der neuen Wildheit Auge in Auge gegenüberstehen, sind für Pearce ein Beispiel für den Nutzen einer Willkommenskultur. Es haben sich dort mehr neue Arten angesiedelt, als alte Arten tatsächlich deswegen ausgestorben seien. Und auch die Neuen leisten ihre Dienste für die Natur – sie bestäuben die Blüten und sie verbreiten die Samen.
Pearce kritisiert, dass die Naturschützer der alten Schule bei den Zuwanderern immer nur die Negativseiten, und bei den alten Bewohnern immer nur die Positivseiten benennen und auf dieser Basis krasse Maßnahmen zur Ökosystemerhaltung durchsetzen wollen. Die einseitige Sichtweise fängt bei der Definition von Schaden an: Nimmt die Population der alten Art ab, so ist das grundsätzlich ein Schaden, den der Einwanderer verursacht. Dabei können auch einheimische Arten eine „Pest“ sein und sich negativ auf die Biodiversität auswirken.
Mit Säuberungswut und Ausrottung lassen sich selten alte Zustände dauerhaft wiederherstellen, so Pearce – am ehesten noch auf Inseln. Meistens erzielt man allerdings ungewollte Folgen und das auch noch bei enorm hohen monetären Kosten und – je nachdem, was bekämpft wird – bei einem Einsatz von großen Mengen an Gift, die in die Natur entlassen werden.
Fred Pearce ist ein renommierter britischer Umweltjournalist, der für den Guardian und Daily Telegraph schreibt und dessen Bücher über Wasserknappheit und Landgrabbing in viele Sprachen übersetzt wurden. Er ist außerdem Umweltberater der Zeitschrift „New Scientist“.
In seinem Buch „Die neuen Wilden. Wie es mit fremden Tieren und Pflanzen gelingt, die Natur zu retten.“ setzt Pearce sich für neue Wilde in einer neuen Wildnis ein. Und damit ist er nicht alleine, denn ein Riss führt durch die Ökologen- und Naturschützerwelt – da sind die Old-School-Ökologen und die Invasionsbiologen, die durch Ausrottung von neuen zugewanderten Arten zu einem früheren Zustand zurückwollen, versus die neuen Ökologen, die weg von der Schwarz-Weiß-Malerei und zu einer Ökologie mit den Neuen wollen (zumindest, wo es Sinn macht).
Pearce kritisiert auch die Beweisführung der Vertreter der „alten“ Ökologen als zu einseitig sowie für das Veröffentlichen nicht überprüfter Zahlen. Sie würden darüber hinaus Erfahrungen, die auf einzelnen Inseln gemacht wurden, auf die Natur der gesamten Erde übertragen.
Pearce fordert: Fremde dürften nicht mehr per se verteufelt werden, denn die Natur lasse sich nicht einfrieren. Ein Problem der Naturschützer: Sie wollen die Schwachen schützen, aber die Natur will und braucht die Starken.
Das Buch
Die neuen Wilden: Wie es mit fremden Tieren und Pflanzen gelingt, die Natur zu retten*
Fred Pearce
oekom verlag**
ISBN 978-3-86581-768-6
336 Seiten
Hardcover mit Schutzumschlag
22,95 Euro / 23,60 (A)
auch als E-Book erhältlich
Das Buch ist mit einem Vorwort von Prof. Dr. Josef. H. Reichholf ausgestattet, einem bekannten Zoologen, Evolutionsbiologen und Ökologen sowie Honorarprofessor an der Technischen Universität München.
Mein persönliches Fazit zum Buch:
Sehr spannendes Thema, sehr interessante Beispiele von einer Reise über sechs Kontinente und für mich eine überzeugende Beweisführung. Lesenwert! ***** (Fünf von fünf Sternen)
* Werbelink zu Amazon
** Ich habe ein kostenloses Rezensionsexemplar erhalten.
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