Was bringt das Bedingungslose Grundeinkommen? (Buchvorstellung und Meinung)

Das gerade im Econ-Verlag erschienene Buch Was würdest Du tun?: Wie uns das Bedingungslose Grundeinkommen verändert – Antworten aus der Praxis* von Michael Bohmeyer und Claudia Cornelsen führt der neu entfachten Diskussion um das Bedingungslose Grundeinkommen frische Luft zu. Was bringt das bedingungslose Grundeinkommen? Wie verändert es die Menschen und die Gesellschaft? Und wie soll es finanziert werden? Es stellt sich auch die Frage, ob wir ein Bedingungsloses Grundeinkommen überhaupt noch brauchen – das Umfeld hat sich in den letzten Jahren gewandelt.


Gerade im Econ-Verlag erschienen: Was würdest Du tun?: Wie uns das Bedingungslose Grundeinkommen verändert – Antworten aus der Praxis*

Ein Bedingungsloses Grundeinkommen wird schon lange angedacht und in ganz unterschiedlichen Ausprägungen schon lange gefordert. Vor allem, als vor etwa zwei Jahrzehnten die Arbeitslosenquote in Deutschland noch über 10 Prozent lag, die Hartz-4-Effekte zu beobachten waren und man die (weitere) Digitalisierung wie eine Welle auf uns zurollen sah, wurde das Thema bei uns in Deutschland heiß diskutiert. Roboter würden bald die noch verbliebene Arbeit übernehmen, fürchtete man, und das Heer der Menschen ohne Arbeit und ohne Einkommen würde zu einem riesigen Problem werden. Wovon sollten die (wir!) dann leben? Von „Hartz 4“? Wer sollte in die Rentenkasse zahlen? Wie sollte man selbst noch Geld anlegen und für das Alter oder Notzeiten vorsorgen können? Schöne Aussichten angesichts der offenen oder unterschwelligen Unterstellung seitens mancher Politiker, Parteien und Teilen der Presse, dass Arbeitslose und andere Bedürftige Schmarotzer seien [Entmenschlichung als Mittel, um staatliche Hilfe möglichst klein halten und sogar das Mindesteinkommen noch reduzieren lassen zu können, wenn sich jemand nicht jeder (oft genug unsinnigen) Forderung seines Betreuers beim Jobcenter fügt]. Vergessen wird von den Vertretern der Sanktionen gerne, dass viele dieser Menschen vorher auch in die Arbeitslosenversicherung und ins Steuersäckl gezahlt haben und/oder dass sie vielleicht in (prekären) Jobs wichtige Aufgaben für uns und unsere Gesellschaft erfüllt haben. Gehorche ohne Widerspruch und du kannst dir ein Geburtstagsgeschenk fürs Kind leisten oder eben nicht – das ist für manche Bedürftige leider die demütigende Realität.

Statistik: Arbeitslosenquote in Deutschland im Jahresdurchschnitt von 2004 bis 2019 | Statista
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Das Bedingungslose Grundeinkommen könnte eine Lösung sein, die Probleme menschenwürdig zu lösen, sagen die Befürworter. Und es sollte nicht nur akut Arbeitslosen die Schmach der unfreiwilligen „Bedürftigkeit“ nehmen, sondern allen offenstehen – bedingungslos in beide Richtungen: ohne Voraussetzungsprüfung und ohne Rechtfertigung. So würde kein Neid entstehen. Außerdem sollte es höher sein als das Arbeitslosengeld 2 („Hartz 4“) der Langzeitarbeitslosen.

Eine der großen Fragen ist: Wie würden sich Menschen verhalten, deren Existenz, wenn auch auf bescheidenem Niveau, gesichert ist? Würden sie sich dem Nichtstun hingeben? Würden Sie sich für eine gerechtere Welt oder andere würdige Ziele engagieren? Denn die einen träumen vom guten Kern der Menschen, die sich fortan nur noch zum Wohle der Allgemeinheit verhalten würden, die anderen desillusionieren, dass Menschen nur dann etwas tun, erst recht etwas Sinnvolles, das aber keinen Spaß macht, wenn sie davon einen persönlichen Vorteil haben. Aber wie sind Menschen wirklich?

In einigen Ländern gab es bereits staatliche Pilotprojekte mit ganz unterschiedlichen Konzepten eines Grundeinkommens. Sie waren allerdings nicht bedingungslos, sondern nur für bestimmte Gruppen (beispielsweise Finnland: ausschließlich für Arbeitslose), wurden vorzeitig abgebrochen (kanadische Provinz Ontario nach einem Regierungswechsel) oder wichen anders vom obigen Idealbild ab.

Um Erfahrungen in Deutschland zu sammeln, starteten Michael Bohmeyer und Mitstreiter ein Experiment, bei dem Geld von Spendern gesammelt wird („Crowdfunding“), das dann als Bedingungsloses Grundeinkommen für ein Jahr verlost wird. Um das zu verwirklichen, gründete Michael Bohmeyer den Verein Mein Grundeinkommen e.V., der die Informationsarbeit übernehmen und das Ganze abwickeln würde. Die, die in die Verlosung einzahlen (und dadurch auch an der Lotterie teilnehmen können), werden Crowdhörnchen genannt. Der einzelne merkt seinen kleinen Beitrag nicht, aber ein oder mehrere andere würden dank aller beteiligten Crowdhörnchen ein Jahr lang monatlich 1000 Euro (zusätzlich) zur Verfügung haben. Und vielleicht ist man sogar selbst der/die glückliche GewinnerIn.

Das Interesse an dem Projekt wuchs schnell und es wurde sowohl für den Lostopf als auch für den Verein (nur der ist gemeinnützig) so viel gespendet, dass inzwischen 273 Bedingungslose Grundeinkommen für ein Jahr vergeben werden konnten (mehr sind in der Pipeline). Für den Verein arbeiten inzwischen 23 Mitarbeiter. Die, die ein Bedingungsloses Grundeinkommen gewinnen, müssen keine Bedürftigkeit nachweisen oder andere Bedingungen erfüllen und sie können mit den 12 x 1000 Euro machen, was sie wollen. Da Gewinne grundsätzlich steuerfrei sind, können sie über den Betrag zusätzlich zu dem, was sie sonst an Einkommen haben, verfügen, ohne dadurch in eine höhere Steuerklasse zu rutschen oder dass das Finanzamt ihnen das Geld wegnehmen könnte. Benachteiligt sind hier Arbeitslosengeld-2-/Hartz-4-Empfänger: Sie müssen zwar auch keine Steuer zahlen, aber ihr Anspruch auf die staatliche Hilfe fällt durch den Gewinn eines Bedingungslosen Grundeinkommens zumindest für dieses Jahr weg.

Einige der bisherigen GewinnerInnen wurden – so sie gewillt waren – interviewt, um Erkenntnisse zu gewinnen, was das Bedingungslose Grundeinkommen bewirkt und wie es die Menschen und ihr Leben verändert hat. Ihre Beobachtungen und Folgerungen aus diesen Gesprächen veröffentlichten Michael Bohmeyer, der Initiator, und Claudia Cornelsen, eine Mitstreiterin, in einem Buch.

Was würdest Du tun?: Wie uns das Bedingungslose Grundeinkommen verändert – Antworten aus der Praxis*
Michael Bohmeyer, Claudia Cornelsen
Econ Verlag (Januar 2019)
ISBN: 978-3-4302-1007-2







Die Ergebnisse sind überraschend und interessant – und ich möchte sie hier nicht vorwegnehmen. Man erhält Einblicke in deutsche Wirklichkeiten (Paralleluniversen!), lernt ganz unterschiedliche Lebenswege kennen und welche Auswirkungen das Bedingungslose Grundeinkommen für ein Jahr auf diesen jeweils hatte.

Aber wir haben doch heute zuwenig Fachkräfte und die Unternehmen finden keine Auszubildenden

Bevor ich das Buch Was würdest Du tun?: Wie uns das Bedingungslose Grundeinkommen verändert – Antworten aus der Praxis* kaufte, fragte ich mich, wie akut der Bedarf an einem Bedingungslosen Grundeinkommen eigentlich (noch) ist. Die Arbeitslosen sind doch weniger geworden, sieht man in Statistiken und hört man immer lauter, vor allem von den Hartz-4 Befürwortern. Doch wenn man genau hinschaut, sind viele der Menschen in zwar gesellschaftlich wichtigen, aber dennoch so schlecht bezahlten Jobs untergekommen, dass ihnen nichts für Rücklagen für Notfälle bleibt, geschweige denn für die von Teilen der Politik erwartete zusätzliche eigene Altersvorsorge zur gesetzlichen Rentenversicherung.

Brauchen wir angesichts des zunehmenden Nachwuchs- und Fachkräftemangels und der Überalterung unserer Gesellschaft wirklich noch ein Bedingungsloses Grundeinkommen? Da mit dem Schwenk von warmherziger Willkommenskultur zu Fremdenängstlichkeit und Fremdenfeindlichkeit manchen angekommenen Geflüchteten die Illusion von Integration, Gleichberechtigung und gegensetigem Respekt genommen und ein Teil potenzieller qualifizierte Einwanderer verschreckt wurden, müssen wir doch jetzt eigentlich jeden Bürger des Landes, der noch atmet, zur Arbeit treiben – jedenfalls, wenn wir nicht wollen, dass Konzerne und damit auch deren Steuern (und die Steuern der Angestellten) wegen des Fachkräftemangels in andere Länder abwandern und mittlere und kleinere Betriebe hier gleichzeitig pleitegehen, weil die Menschen hier vor Ort nicht genug Geld haben, um bei ihnen zu kaufen oder Dienste in Anspruch zu nehmen. Da ist ein Bedingungsloses Grundeinkommen doch kontraproduktiv. Oder nicht?
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Warum das Thema Bedingungsloses Grundeinkommen noch relevant ist

Ihre Erkenntnisse aus den Gesprächen mit den Gewinnern lassen die beiden AutorInnen von Was würdest Du tun?: Wie uns das Bedingungslose Grundeinkommen verändert – Antworten aus der Praxis* unser vertrautes Leistungsprinzip „Fordern und Fördern“ in Frage stellen – und das nicht nur hinsichtlich der Grundsicherung und Sanktionen der Jobcenter, die diese „Grundsicherung“ bei angeblichem Fehlverhalten manchmal so stark vermindern, dass in Extremfällen nicht einmal genug zum Essen bleibt.

Nach Lektüre des interessanten Buches, finde ich, dass das Bedingungslose Grundeinkommen nach wie vor seine Berechtigung hat. Das Vertrauen der Menschen in Staat und Gesellschaft wurden durch die Stigmatisierung von Arbeitslosigkeit und Hilfebedürftigkeit untergraben. Das begann als Deutschland „der kranke Mann Europas“ war und nach Lösungen gesucht wurde, wie man angesichts zunehmender Arbeitslosigkeit die hohen Sozialausgaben in den Griff bekommen könnte. So kam es zu Hartz 4 und Co. Jedoch: Das Hetzen mancher Medien und die unterschwellige Unterstellung seitens weiten Teilen der Politik seit damals, Arbeitslose wollten nicht arbeiten, und nicht zuletzt dieses harte Fordern-und-Fördern-Prinzip haben eine Angst vor dem Absturz bis weit in die Mittelschicht ausgelöst. Schließlich ist niemand vor Arbeitslosigkeit gefeit. Tagtäglich gehen Firmen pleite, wird in Konzernen umstrukturiert und Leute entlassen. Jeder Mensch kann morgen selbst eine/einer der Fallengelassenen sein und vor Jobcentermitarbeitern zu Kreuze kriechen und sein Leben rechtfertigen müssen. All das hat vermutlich zum Vertrauensverlust in den Staat, zu Neiddebatten, Fremdenfeindlichkeit und zur gesellschaftlichen Spaltung zumindest beigetragen. Das Bedingungslose Grundeinkommen würde das Vertrauen wiederherstellen und die Menschen vermutlich wieder mehr zusammenführen können.

Wenn man allen ein Bedingungsloses Grundeinkommen gäbe und dadurch alle mehr Sicherheit und Freiheit haben, würden sie ohne Existenzangst den eigenen Neigungen nachgehen können, auch wenn diese Neigung ein nicht so gut bezahlter Pflege- oder Dienstleistungsberuf ist (allerdings darf das nicht ein Freifahrtschein für Arbeitgeber werden, ihre Mitarbeiter schlecht zu bezahlen). Anreiz für das Erlernen und Ausüben eines höher qualifizierenden Berufes wäre immer noch das eigene Bedürfnis nach Profilierung, die bessere zusätzliche Bezahlung durch den Arbeitgeber und der sonstige Selbstverwirklichungsantrieb.

Wer soll das Bedingungslose Grundeinkommen bezahlen?

Vieles wird zur Finanzierung des Bedingungslosen Grundeinkommens diskutiert: Einsparungen bei den bisherigen Transferleistungen und der Sozialverwaltung, höhere Konsumsteuer oder Einkommenssteuer, Einführung einer Robotersteuer und/oder Finanztransaktionssteuer und anderes mehr.

Im Buch Was würdest Du tun?: Wie uns das Bedingungslose Grundeinkommen verändert – Antworten aus der Praxis* wird vorgeschlagen, das Bedingungslose Grundeinkommen aus der Einkommenssteuer zu finanzieren. Dazu würden zwar die Steuern erhöht, die mittleren Einkommen bekämen diese Erhöhung aber in etwa als Bedingungsloses Grundeinkommen wieder heraus, die Ärmeren und Armen bekämen mehr als sie eingezahlt haben, die Reichen weniger.

Mein Fazit zum Experiment des Vereins „Mein Bedingungsloses Grundeinkommen“

Das Experiment hat seine Grenzen: Man kann es leider nicht wirklich statistisch auswerten und erst recht nicht die Ergebnisse und Beobachtungen auf eine ganze Gesellschaft übertragen. Dafür ist die Zahl der Interviewten zu klein. Außerdem ist die Dauer des gewonnenen Bedingungslosen Grundeinkommens von vorneherein auf ein Jahr beschränkt – ich vermute, Menschen würden sich anders verhalten, wenn sie wüssten, dass sie das Bedingungslose Grundeinkommen zeitlich unbegrenzt erhalten würden. Wir können auch nichts darüber erfahren, wie sich ein Bedingungsloses Grundeinkommen langfristig (über Jahre oder ein ganzes Leben lang) auf die Menschen und die Gesellschaft auswirkt und ob sich das Erleben der EmpfängerInnen verändert, wenn ALLE Menschen bedingungslos in den Genuss kommen und nicht nur wenige glückliche Gewinner, die sich möglicherweise vom Schicksal auserkoren, reich beschenkt und schon deshalb glücklicher fühlen. Trotzdem finde ich das Experiment und die daraus gewonnenen Erfahrungen sehr interessant (und ich werde ein Crowdhörnchen bleiben).

Fazit zum Buch Was würdest Du tun?: Wie uns das Bedingungslose Grundeinkommen verändert – Antworten aus der Praxis*

Auch wenn man als neugierige/r LeserIn die ein- oder andere Erwartung, Schlussfolgerung und Finanzierungsidee möglicherweise nicht teilt, ist das Buch doch eine gute Informationsquelle zum Thema Bedingungsloses Grundeinkommen und erzählt Geschichten von Menschen in Deutschland, ihre ganz verschiedenen Lebenswege, wie sie das Bedingungslose Grundeinkommen genutzt haben und wie es ihr Leben verändert hat. Darüber hinaus regt es allgemein zur Diskussion an, wie wir die Zukunft unserer Gesellschaft gestalten wollen.

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Über Eva Schumann

Garten(bau) und Gärtnern sind meine Therapie und Leidenschaft und sie waren viele Jahre mein Beruf. Zu meinem Gartenbau-Studium kam ich über den zweiten Bildungsweg, denn da lernte ich den Spaß am Lernen und so wurde lebenslanges Lernen zu meinem Lebensmotto. Ich bin Fachfrau auf mehreren Gebieten, denn ich habe mehrere Ausbildungen (Einzelhandelskauffrau Parfümerie, abgeschlossenes Studium Gartenbau, Weiterbildung Netzwerk- und Internetmanagement, Schulungen technische Redaktion, IT, Mobilfunknetze, Programmierung, Datenbanken und mehr) und auch ausgiebig Berufserfahrung gesammelt. Daneben bin ich immer leidenschaftliche Hobbygärtnerin (Garten, Balkon, Terrasse) und Hobbybörsianerin (aus Begeisterung für das Internet) geblieben. Ich verdiene meinen Lebensunterhalt heute als freie Journalistin, Bloggerin, Texterin, Buchautorin und Technische Redakteurin (mehr siehe www.evaschumann.biz) sowie über meine werbefinanzierten Publikationen im Internet (Portalseite www.tinto.de). Buchen Sie Werbeplatz oder bestellen Sie frische Texte, Bilder oder anderen Content bei tinto@tinto.de oder eschumann@evaschumann.biz
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