Blume des Jahres, Staude des Jahres und weitere Pflanzen des Jahres 2023

Wie jedes Jahr wählten verschiedene Organisationen, Institutionen und andre ihre Pflanzen des Jahres 2023. Da gibt es die Blume des Jahres, die Staude des Jahres, den Baum des Jahres, die Arzneipflanze des Jahres, die Giftpflanze des Jahres und viele andere. Meist geht es darum, das Augenmerk von GärtnerInnen und Öffentlichkeit auf Pflanzen zu lenken, die gefährdet, zu wenig bekannt oder nicht genug wertgeschätzt sind. Hier die wichtigsten Pflanzen des Jahres 2023 und von wem sie jeweils als solche bestimmt wurden:

Europäischer Strandling
Die Wasserpflanze des Jahres 2023 ist der Europäische Strandling (Littorella uniflora). Er ist ein ausdauerndes, immergrünes, krautiges Wegerichgewächs, das sowohl am Ufer als auch im Wasser bis zu drei Metern Tiefe gedeiht. Der Europäische Strandling wird in den Roten Listen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz als stark gefährdet eingestuft und kommt nur noch an einzelnen Stellen in abflusslosen nährstoffarmen Seen vor. Zur Wasserpflanze des Jahres 2023 gekürt wurde er vom Verband der Deutschen Sporttaucher (VDST) gemeinsam mit dem Tauchsportverband Österreichs (TSVÖ) und dem Schweizer Unterwasser-Sport-Verband (SUSV).

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Kleine Braunelle
Die Kleine Braunelle (Prunella vulgaris) ist die Blume des Jahres 2023 der Loki-Schmidt-Stiftung. Sie ist eine wertvolle, in Europa lange vergessene Heilpflanze und wird auch von Bienen und Hummeln sehr geschätzt.

Braunelle und Klee im Rasen
Wir lieben unser Begleitkraut: Braunelle im Rasen auf einem begrünten Tiefgaragendach – jedes Jahr im Juli ein violett-blauer, begehbarer Teppich. Die Kleine Braunelle wurde von der Loki-Schmidt-Stiftung zur Blume 2023 gekürt.

Braunelle mit Hummel
Kleine Braunelle mit Blütenbesucherin. Die ausdauernden, krautigen Pflanzen sind auch im Winter grün.

Indianernessel
Die Indianernessel (Monarda) ist eine aus Nordamerika stammende, je nach Sorte im Sommer/Spätsommer blühende Staude. Mit ihren leuchtenden Farben und der „zerzausten Frisur“ ist sie für Menschen eine optische Augenweide und für Bienen und Hummeln ein gedeckter Tisch, der gerne besucht wird. Sie wurde vom Bund Deutscher Staudengärtner (BDS) zur Staude des Jahres 2023 auserkoren.

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Moorbirke
Die Dr.-Silvius-Wodarz-Stiftung kürte die Moorbirke (Betula pubescens) zum Baum des Jahres 2023. Der Baum mit der glatten, weißen Rinde sieht der Sandbirke zum Verwechseln ähnlich. Doch während sich die Sandbirke von der Verbreitung her, Richtung Süden tendiert, ist die Moorbirke besonders in nordischen Wäldern eine prägende Baumart.

Weinrebe
Die Weinrebe (Vitis vinifera) wurde vom Verein zur Förderung der naturgemäßen Heilweise nach Theophrastus Bombastus von Hohenheim, bekannt als Paracelsus, zur Heilpflanze des Jahres 2023 bestimmt. Damit soll die Bedeutung dieser „Sonnenpflanze“ für Küche, Weinkeller und für die Hausapotheke herausgestellt werden.

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Echter Salbei
Der Studienkreis „Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzen“ an der Universität Würzburg wählte den Echten Salbei (Salvia officinalis) zur Heilpflanze des Jahres 2023. Damit soll die Wichtigkeit dieser Gewürzkraut- und Heilpflanze für die Medizin, beispielsweise zur Behandlung von Entzündungen im Hals- und Rachenraum, herausgestellt werden.

Salbei ist Gewürz- und Heilpflanze und die Hummeln mögen ihn auch. Wer keinen Garten hat: Man kann ihn auch gut im Topf auf dem Balkon oder der Terrasse kultivieren. Er blüht Ende Mai/Anfang Juni.

Petersilie
Dieses beliebte Gewürzkraut (Atropa belladonna) wurde zur Giftpflanze des Jahres 2023 gewählt – verantwortlich ist der Botanische Sondergarten Wandsbek. Giftig sind die Samen der Petersilie, weil sie Apiol enthalten. Samen entwickeln sich nach der Blüte, das ist bei Petersilie in der Regel im zweiten Jahr.

Rote Beete
Der Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt (VEN) hat die Rote Beete (Beta vulgaris subsp. vulgaris) zum Gemüse der Jahre 2023 und 20204 ernannt und macht damit auf ihre Bedeutung für die Gesundheit (Immunsystem), Ernährung und vieles andere aufmerksam.

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Heimische Pflanze, alteingewanderte oder Neophyt – alles eine Frage der Zeit

Pflanzen, die nicht heimisch sind und erst nach 1492 eingeführt wurden, sind bei vielen als Neophyten geradezu verschrien. Dabei sind auch die als heimisch geltenden Lebewesen und Lebensgemeinschaften irgendwann irgendwoher gekommen und haben sich angesiedelt, wenn die Bedingungen passten. Es ist dasselbe Prinzip, nur bei den einen schon länger her als bei den anderen.

Nur an isolierten Standorten, beispielsweise abgelegenen Inseln wie den Galapagos- und den Hawaii-Inseln, entwickelten sich endemische Arten, die es nur an diesem einen Standort gibt. Ansonsten fand und findet ein Austausch von Pflanzen und anderen Lebewesen statt, einerseits durch Wind, Wasser und Wildtiere, aber auch durch die Wanderbewegungen, Neubesiedelungen, Kriege und Handelstätigkeiten des Menschen.

Der von Mai bis Oktober blühende Schmetterlingsflieder (Buddleja davidii) ist ein von manchen Naturschützern geächteter Neophyt, wird von Schmetterlingen, Bienen, HobbygärtnerInnen, ImkerInnen und anderen aber sehr geschätzt.

Wenn die Bedingungen am neuen Standort passen, keimen die angeflogenen Samen oder Samen aus von Menschen mitgebrachten Früchten und besiedeln den Platz. Und wenn sich der Standort von alleine oder durch die Tätigkeit des Menschen im Laufe der Zeit verändert (Mahd, Beweidung, Pflanzenbau, Düngung etc.), verändern sich auch die dortigen Arten und Lebensgemeinschaften – entweder können sie sich anpassen oder sie werden durch das Erstarken anderer Lebewesen (die besser dorthin passen, aber bis dahin ein Nischendasein fristeten) oder durch ganz neue Besiedler ganz oder teilweise verdrängt.

Heimisch, alteingewandert oder Neophyt ist eine Frage der Zeit

Als indigene (einheimische, urwüchsige) Pflanzen bezeichnet man solche, die sich ohne den Einfluss des Menschen in einem Gebiet ausgebreitet haben. Sie haben sich aber nicht an diesem Standort aus einer ersten Pflanzenzelle im Laufe der Evolution über Lebermoos bis hin zu einer neueren Baumart entwickelt. Die erste Pflanzenzelle entstand nämlich im Meer (Urozean) und aus ihr entwickelten sich die ersten Pflanzen.

Die ersten Pflanzen an Land waren vermutlich eine Vorstufe von Lebermoosen, die irgendwie an Land gespült wurden und dabei nicht starben, sondern mit den Bedingungen zurechtkamen (die genauen Zeiten und Abläufe werden unter WissenschaftlerInnen noch diskutiert). Nach der „Landnahme“ folgten Ausbreitung, Weiterentwicklung, Spezialisierungen etc. über Millionen von Jahren.

Pflanzen, die wir heute an einem Standort als heimisch bezeichnen, haben sich irgendwann dort angesiedelt, als sie von Wind, Wasser oder Wildtieren dorthin gebracht wurden, sie die „Umsiedlung“ überlebt haben und dort längerfristig gedeihen konnten.

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Dem gegenüber stehen die nicht einheimischen hemerochoren Pflanzen. Sie werden durch die Aktivitäten von Menschen und ihren Haustieren verbreitet. Erste Menschen der Art Homo sapiens gibt es seit etwa 300.000 Jahren, belegen Funde aus Afrika. Im mittleren Europa gibt es uns Homo-Sapiens-Menschen wahrscheinlich seit etwa 45.000 Jahren: Wir sind gerade erst aufgetaucht, gemessen an der bisher 4,6 Milliarden dauernden Erdgeschichte. Die Zeitangaben unterscheiden sich je nach Quelle und ändern sich mit jedem neuen Fund oder wissenschaftlicher Auswertung.

Bei diesen nichteinheimischen Arten unterschiedet man Archäophyten und Neophyten.

Archäophyten sind die etablierten „Alteinwanderer“, sie wurden bereits vor 1492 eingeführt. Das sind 226 Gefäßpflanzenarten (Pflanzen mit spezialisierten Leitbündeln: Bärlapppflanzen, Farne und Samenpflanzen). Sie stammen größtenteils aus dem vorder- oder zentralasiatischen Raum und umfassen besonders die Kulturfolger aus der Zeit der Neolithischen Revolution (8000 v. Chr. bis 2000 v. Chr.).

Zu den Archäophyten gehören beispielsweise Apfel, Birne, Pflaume, Weizen, Gerste, Klatschmohn, Kornblume, Echte Kamille und Kornrade. Sie werden – wie die einheimischen Arten – als schützenswert angesehen und die, die durch intensive Landwirtschaft bedroht sind, setzt man auch auf die Rote Liste der bedrohten Arten. 

Neophyten sind Pflanzenarten, die erst seit 1492 zu uns gelangt sind. Dazu gehören beispielsweise Kartoffeln, Tomaten und Mais. Allerdings verwildern die genannten wärmeliebenden, als Gemüse genutzten Pflanzen bei uns (noch) nicht, weil sie nicht frosthart sind. Das taten aber viele andere, beispielsweise Beifuß, Estragon, das Großblättrige Kaukasusvergissmeinnicht, die Italienische Ochsenzunge, Löwenmäulchen und viele andere (Liste der Neophyten bei Wikipedia).

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Ungefähr 433 neue Gefäßpflanzenarten haben sich etabliert – etwa die Hälfte wurden eingeführt, die anderen wurden unbeabsichtigt eingeschleppt. Außerdem kommen 1.600 Neophyten unbeständig vor, d. h., sie verschwinden auch wieder.

[Das Jahr 1492 wählte man, weil es das Jahr war, in dem Kolumbus Amerika „entdeckte“. Es gilt vielen als Epochengrenze zwischen Mittelalter und Neuzeit. Von Entdeckung kann nicht wirklich die Rede sein: Kolumbus war auf der Suche nach Indien versehentlich auf einer Bahama-Insel gelandet. Er und seine Begleiter waren auch nicht die ersten Menschen, die den amerikanischen Kontinent entdeckt und betreten haben, denn die Menschen die bereits dort lebten, waren viel früher dort angekommen. Tatsächlich war Amerika 15.000 Jahre zuvor besiedelt worden – von anderen Menschen, die wie wir alle ursprünglich aus Afrika stammten, unsere Ahnen sind nur zu verschiedenen Zeiten aufgebrochen und/oder sie haben verschiedene Routen genommen.]

Als invasiv mit unerwünschten Auswirkungen gelten 38 Arten der Neophyten, darunter der Riesen-Bärenklau (Heracleum mantegazzianum), die Beifuß-Ambrosie (Ambrosia artemisiifolia), Japan- und Sachalin-Knöterich (Fallopia japonica, F. sachalinensis), Kanadische und Späte Goldrute (Solidago canadensis, S. gigantea) sowie das Indische Springkraut. Es gibt aber auch Stimmen, die sagen, dass das Indische Springkraut nicht, wie behauptet, andere Arten verdrängt, sondern von Standortveränderungen wie Nährstoffeintrag profitiert, mit denen andere nicht klarkommen.

Aus naturwissenschaftlicher Sicht sind invasive Arten nicht per se negativ. Je nach Art und Situation kann die invasive Art die biologische Vielfalt eines Standortes/Ökosystems erhöhen oder verringern.

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Karibik in den Alpen?

In den Alpen findet man an verschiedenen Standorten jede Menge fossile Korallen, Fischschuppen tropischer Fische und Muschelreste. Das sind Überreste aus einer Zeit, als die Flächen, die jetzt bestimmte Regionen der Alpen ausmachen, noch am Meeresgrund des Urmeeres Tethys lagen. Niemand käme auf die Idee zu sagen, wir brauchen in den Alpen karibische Korallenbänke, tropische Fische und Muscheln, nur weil das irgendwann mal die heimischen Lebewesen waren – nein, der Standort hat sich verändert: Gebirge haben sich gebildet, das Meer ist weg, die Höhenlage und damit das Klima sind völlig anders und so leben hier nun andere Pflanzen und Tiere.

So fing es mit den Pflanzen an Land an

Die Erde ist 4,6 Milliarden Jahre alt, grob 4 Milliarden davon war sie ohne Landpflanzen. Im Meer dagegen hat sich Leben entwickelt und als sich ein tierischer Einzeller eine Bakterie einverleibte, die in der Lage war, mit Hilfe von Farbstoffen Licht in Energie umzuwandeln, war die erste Pflanzenzelle entstanden.

Die ersten Pflanzen an Land waren vermutlich Vorstufen der Lebermoose. Wollen wir zu diesem „ursprünglichen Zustand“ zurück? Natürlich nicht.

Mit dem Beginn der Photosynthese vor etwa 2,3 Milliarden Jahren begann sich die Erdatmosphäre zu verändern, denn die Pflanzen entzogen der Atmosphäre Kohlendioxid für ihre Photosynthese und sie trugen zur Verwitterung der Gesteine bei. Letzteres führte zu einer Verbindung von Kohlendioxid mit ins Meer geschwemmten Kalzium- und Magnesiumionen. Dies und andere Faktoren minderten nach heutigen Kenntnissen den damaligen Treibhauseffekt und es wurde kühler, gleichzeitig gelangte zunehmend Sauerstoff in die Atmosphäre.

Zunächst gab es Moosarten, später auch Gefäßpflanzen, dann traten erste amphibisch lebende Landtiere und geflügelte Insekten auf. Vor 359 bis 299 Millionen Jahren gab es riesige Wälder aus Farnen, Schachtelhalmen und Bärlapp-Pflanzen.

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Krasse Unterbrechungen

Insgesamt weiß man heute von etwa 15 großen Aussterbeereignissen von Lebewesen auf der Erde. Ursache waren meist Klimaveränderungen hervorgerufen durch Vulkanausbrüche, Meteoriteneinschläge und andere einschneidende Ereignisse.

Das bisher größte Aussterbeereignis, wahrscheinlich von Vulkanausbrüchen verursacht, fand an der Grenze vom Perm (vor 299 bis 251 Mio. Jahren) zur Trias (vor 251 bis 201 Mio. Jahren) statt: Drei Viertel aller Land- und ein großer Teil der Meereslebewesen starben aus. Aber die Natur hat sich erneuert und neue Pflanzenarten entwickelten sich, beispielsweise Bedecktsamer („Blütenpflanzen“).

Beim nächsten großen Aussterbeereignis, wahrscheinlich verursacht durch einen Meteoriteneinschlag vor etwa 66 Millionen Jahren, starben die Dinosaurier aus. Danach haben sich Säugetiere und Blütenpflanzen besser entwickeln und ausbreiten können.

Veränderte Landschaften

Naturlandschaft, vom Einfluss des Menschen nicht beeinträchtigte Landschaft, gibt es so gut wie gar nicht mehr, weil unsere Umweltverschmutzung und sonstige Beeinträchtigungen überall auf der Erde zu finden sind.

Was die natürliche Vegetation betrifft, hätten wir in Deutschland ohne menschlichen Einfluss hauptsächlich Laub- und Mischwälder und an einzelnen Standorten Heide, Moore oder vegetationsarme Hochlagen.

Unsere Landschaft und deren Vegetation wird aber kaum sich selbst überlassen, sondern überwiegend durch die Nutzung durch den Menschen geprägt – es ist eine Kulturlandschaft: bewirtschaftete Wälder, Wiesen, Weiden und Weinberge ebenso wie Siedlungs- und Stadtlandschaften oder von Industrie und Wirtschaft geprägte Landschaften.

Die Auswirkungen der menschlichen Kultur sind nicht grundsätzlich schlecht für die Artenvielfalt: So gibt es die blumen- und insektenreichen Bergwiesen nur auf extensiv beweideten Flächen. Ohne sie würde sich der Wald ausbreiten und damit Blumen, viele Insektenarten, Murmeltiere und andere vertreiben. Die extensive Almbewirtschaftung ist für den Landwirt allerdings aufwändig und teuer und mehr und mehr Almen werden aufgegeben. (Bei Intensivbewirtschaftung, die auf niedrigeren Lagen möglich ist, geht die Artenvielfalt ebenfalls verloren und andere Nachteile mehr).

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Auch die derzeitige, vom Menschen gemachte Klimaerwärmung verändert Standorte, beispielsweise verlagern sich die klimatischen Waldgrenzen an vielen Standorten weiter nach oben (wenn dort nicht andere Faktoren dagegen wirken). Wald wandert nun in Höhenlagen, wo es vorher zu kalt für Wald war. Und andererseits: Wo es vorher warm genug für bestimmte Baumarten war, wird es für diese nun möglicherweise bald zu warm und zu trocken sein. Die logische Folge, wenn man das Klima und andere Umweltbelastungen nicht zurückdrehen kann – was am besten wäre: Andere Arten müssen her beziehungsweise in diesen Wald dazu gepflanzt werden, um ihn zu stabilisieren.

Alles ist immer im Wandel

Flächen ohne Vegetation werden zunächst von sogenannten Pionierpflanzen besiedelt. Ihre Samen werden meist über Wind oder Tiere an den Standort gebracht. Weil sie mit den oft extremen Bedingungen eines unbesiedelten Standortes (Temperaturunterschiede, nährstoffarmer Boden etc.) zurechtkommen und weil keine Konkurrenz da ist, die ihnen das Leben schwer macht, breiten sie sich aus. Oft verändern sie den Standort so, dass sich nun auch andere Pflanzen ansiedeln können (Sukzession), während sie selbst dabei oft verdrängt werden und per Samen neue Standorte erobern müssen. Am Ende entsteht jeweils ein zum Standort passender (temporärer) Klimaxzustand, der bei Veränderung der Standortbedingungen (Klima) aber wieder ein anderer werden muss.

Fazit

Die Einteilung in heimische, alteingebürgerte und neue Pflanzen (Neophyten) ist kein Naturgesetz, sondern von Menschen gemacht. Ob ein Lebewesen invasiv im Sinne von „schädlich“ ist oder nicht, muss sorgfältig geprüft und dann auch überprüft werden (manchmal werden zunächst Aspekte übersehen wie beim Indischen Springkraut siehe bei Naturschutz neu gedacht oder natürliche Gegenspieler (wie Vögel, die Insekten fressen) lernen dazu und kommen auf den Geschmack wie beim Buchsbaumzünsler).

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Die Natur organisiert sich bei Bedarf, besonders nach Krisen, wieder neu. Sie wird auch ohne uns Menschen weitergedeihen und eine neue Vielfalt hervorbringen, falls wir den Planeten so verändern sollten, dass wir selbst darauf nicht mehr leben können.

Die Natur hat ja Zeit: Nach heutiger Schätzung noch etwa 600 Mio. bis 1,2 Milliarden Jahre, dann wird die Leuchtkraft der Sonne zu hoch sein. Spätestens in etwa 1,6 Milliarden Jahren, je nach Szenario, sterben auch die letzten Bakterien und es gibt keine Lebewesen mehr. Aber wer weiß schon, ob sich dann nicht eine andere als die uns bekannte kohlenstoffbasierte Lebensform entwickelt.

Weiterlesen bei Naturschutz neu gedacht (tinto bloggt)

Quellen:

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Naturschutz neu gedacht

Naturschützer, Waldbewirtschafter, Landwirte, Biologen, Ökologen und andere Wissenschafter sind nicht unbedingt einer Meinung, wenn es darum geht, zu entscheiden, welche Pflanzen und Tiere schützenswert sind und welche Gegenmaßnahmen gegen Zuwanderer angebracht sind. Brauchen wir angesichts von Klimawandel und Umweltbelastungen eine neue Perspektive auf zugewanderte Pflanzen und Tiere? (Erstveröffentlichung in längerer Form im März 2019 im Gartenratgeber**)

Angesichts der Herausforderungen, die der Klimawandel mit sich bringt, fordern einige Fachleute ein Umdenken im Naturschutz: Die Neubürger unter den Pflanzen und Tieren sind nicht grundsätzlich schlecht, sie können sogar die Lösung mancher Probleme sein!

Welche Natur ist schützenswert und welche nicht?

Das verstehen viele der herkömmlichen Sichtweise unter Naturschutz: Biotope mit einheimischen und alteingebürgerten Pflanzen und Tieren müssen erhalten werden – grundsätzlich. Werden sie bedroht, werden harte Gegenmaßnahmen ergriffen: Die pflanzlichen Einwanderer werden gerodet oder mit anderen Methoden zur Strecke gebracht, tierische Fremdlinge werden geschossen, vergiftet oder es werden natürliche Feinde ausgesetzt.

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Beispiel 1: Indisches Springkraut

Eine dieser geächteten pflanzlichen Neubürgerinnen bei uns in Deutschland ist das Drüsige Springkraut (Impatiens glandulifera), auch Indisches Springkraut, Himalaya-Balsamine oder auch Bauernorchidee genannt. Die Briten brachten es im 19. Jahrhundert nach Großbritannien, von wo aus es als Zierpflanze nach Kontinentaleuropa kam. Es gefällt ihm bei uns und Gartenzäune können es nicht aufhalten. Nun breitet es sich vor allem in feuchten, lichten Wäldern und Auen mit hohem Nährstoffgehalt im Boden aus.

Das Drüsige Springkraut wird von Naturschützern als invasiver (bedrohlicher) Neophyt eingestuft und bekämpft. Tatsache ist, dass das Kraut besonders bei Halbschatten und hoher Luftfeuchtigkeit schnell wächst und andere Pflanzen ab Hochsommer überwuchern kann – jedenfalls, wenn es im Frühjahr keinen Spätfrost gab und es einen frischen, nährstoffreichen Platz gefunden hat. Hummeln und Bienen mögen den neuen Pollen- und Nektarlieferanten aus Südasien – gerade das lässt manche Naturschützer fürchten, dass die dann keinen Geschmack mehr an einheimischen oder länger eingebürgerten Blühern finden und deren Bestäubung und Vermehrung vernachlässigen könnten.

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Und obwohl das Indische Springkraut keine aggressiven Wurzelausläufer hat und im Winter abstirbt, breitet es sich rasch aus, weil jede Pflanze 2.000 bis etwa 4.000 Samen bildet, die schon bei leichter Erschütterung herausgeschleudert werden und 5 bis 6 Jahre im Boden keimfähig bleiben.

Die Naturschützer fürchten um wertvolle Biotope und blasen zum Halali: freiwillige Helfer rücken aus und reißen das Springkraut aus – oft erst, wenn die Pflanzen schon blühen, also wahrscheinlich auch die ersten Samen bereits ausgebildet haben, die durch das Tragen zu den Sammelstellen für den Abtransport schön verteilt werden.

Umstrittenes Springkraut, hier mit Brennnesseln am Gehölzrand der Isarauen. Das Springkraut liebt feuchte bis nasse nährstoffreiche Böden an eher schattigen Standorten mit hoher Luftfeuchtigkeit.

Ist eine flächendeckende und rigorose Vernichtung notwendig und sinnvoll?

Die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) äußert sich anders über das Indische Springkraut. Sie hat im Jahre 2005 umfassende Versuche angelegt. Die Ausbreitung entlang von Waldrändern und in der Nähe landwirtschaftlicher Flächen wird auf die durch Stickstoffeinträge veränderten Standortbedingungen zurückgeführt. Außerdem sei Springkraut ein Lückenfüller in der Auenvegetation, trete also da auf, wo leere Flecken sind. Es sei auch nicht so, dass das Springkraut von Jahr zu Jahr an der gleichen Stelle immer dichter werde. Aufgrund der Dynamik von Wasser und Sedimenten, die in Flussauen von Jahr zu Jahr wechseln, keimen die beteiligten Arten an immer neuen Stellen.

Dass das Indische Springkraut insgesamt häufiger geworden ist, sei die Kehrseite von Standortveränderungen, wie sie durch Nährstoffeinträge in Böden verursacht werden. Aktionen wie das Ausreißen des Indischen Springkrauts doktere in vielen Fällen an den Symptomen herum, bekämpfe aber nicht die Ursachen. Das Indische Springkraut verdränge andere Arten zudem nicht dauerhaft. Der negative Einfluss auf die Waldverjüngung sei wesentlich geringer als der von Goldrute, Riesenbärenklau oder Japanischem Staudenknöterich, weil der Lichtentzug geringer sei. Und wenn man das Springkraut aus irgendeinem Grund eindämmen will, sei eine rechtzeitige Mahd oder das Ausreißen vor der Samenreife bessere Maßnahmen.

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Manche ökologischen Landwirte sowie Bienenzüchter finden das Springkraut im Graben am Feldrand sogar hilfreich – erstere, weil es mehr blattlausfressende Insektenarten („Nützlinge“) als das heimische, gelb blühende Große Springkraut (I. noli-tangere) beherbergt, die Bienenzüchter wegen der hohen Bienenweidequalität des Indischen Springkrauts.

Beispiel 2: umstrittene Baumarten

Eine ähnliche Meinungsverschiedenheit gibt es auch zwischen dem Bundesamt für Naturschutz, welches Douglasie, Robinie, Roteiche und andere Baumarten auf eine Schwarze Liste mit invasiven Pflanzenarten gesetzt hatte, und dem Deutschen Verband Forstlicher Forschungsanstalten (DVFFA), der eine Studie hatte anfertigen lassen, nach der diese Bäume gerade in Zeiten des Klimawandels das Artenspektrum erweitern und die Stabilität eines Bestandes erhöhen können. Es wurde kritisiert, dass die Nutzenerwägungen in älteren Risikobewertungen zu wenig beachtet oder komplett vernachlässigt würden. Man dürfe nicht nur die Gefahren sehen, sondern müsse auch Chancen erkennen und nutzen.

Lässt sich die Zeit zurückdrehen und macht das Sinn?

Schon in  T. C. Boyles spannendem Roman von 2012 Wenn das Schlachten vorbei ist bekämpfen sich zwei Fraktionen von Naturschützer bzw. Tierschützer – beide in bester Absicht: die einen, die den ursprünglichen Zustand eines Ökosystems auf einer der Kanalinseln vor Kalifornien um jeden Preis wieder herstellen wollen und dafür auch über (Tier-)Leichen gehen, und die anderen, die sagen, dass die Einwanderer genauso schützenswert sind wie die, die einheimisch sind, und die die Bekämpfung der eingewanderten Arten verhindern wollen.

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Wissenschaftlich differenzierter aber ebenso spannend nimmt sich der renommierte Wissenschaftsjournalist Fred Pearce in seinem Sachbuch Die neuen Wilden – Wie es mit fremden Tieren und Pflanzen gelingt, die Natur zu retten* des Themas an. Er folgte der Spur der fremden Arten auf sechs Kontinenten und interviewte zahllose WissenschaftlerInnen. Am Ende ist er überzeugt, dass invasive Arten oft die Lösung von menschengemachten Problemen sein können.

Die dickstieligen Wasserhyazinthe (Eichhornia crassipes) beispielsweise, die bekanntermaßen sogar Wasserwege völlig verstopfen kann, tritt nur da in Massen auf, wo das Wasser verschmutzt und zu nährstoffreich ist. Sie folgt den Menschen, besser: seinen Abwässern, landwirtschaftlichen Nährstoffeinträgen und sonstigen Verunreinigungen in Seen und Flüssen. Sie verzieht sich, wenn die Ursache beseitigt ist, das heißt, wenn die Pflanze das Wasser gereinigt hat, keine neuen Einträge erfolgen und die Wasserqualität wieder stimmt. Ebenso tritt manche invasive Qualle nur da in Massen auf, wo andere Tiere kaum mehr leben können, weil das Wasser zu belastet und zu sauerstoffarm ist.

Pierce kritisiert, dass von manchen Naturschützern Ursache und Wirkung nicht immer genau getrennt werden. Die Invasivarten besiedeln oft Flächen, wo die Einheimischen wegen Umweltveränderungen bereits stark geschwächt oder sogar ausgerottet wurden. Daran ist aber nicht der Neuling schuld, der mit den veränderten Bedingungen zurechtkommt und die Lücke für sich nutzt. Beispielsweise habe sich die Caulerpa-Alge im Mittelmeer auf Flächen ausgebreitet, nachdem dort Süßgraswiesen wegen der Verschmutzung eingegangen waren. Die Alge besiedelte den frei gewordenen Standort und filtere das Wasser. Tatsächlich soll sie in ihrem Habitat mehr Spezies beherbergen als vorher die Süßgraswiesen. Allerdings ziehe sie sich wieder zurück, wenn das Wasser wieder sauberer wird.

Ökologisches Fitting

Erfolgreiche Ökosysteme entstehen nicht erst nach einer jahrhunderte- oder gar jahrtausendelangen gemeinsamen Entwicklung, so Pearce. Das Beispiel der Insel Ascension im Südatlantik zeige, dass auch eingeführte Pflanzen aus aller Welt in sehr kurzer Zeit zu einer Gemeinschaft werden können, deren Schatten, Schutz und Nahrungsangebot von den bereits vorhandenen Tieren gerne genutzt werden, sodass sie die Blüten bestäuben und die Samen verteilen und so zum Erhalt dieses von Menschen geschaffenen Ökosystems beitragen.

Pearce kommt am Ende seiner Recherchen zu dem Schluss, dass wir einen weniger rückwärtsgewandten Naturschutz anstreben sollten. Er zeigt, dass mit Säuberungswut und Ausrottung selten alte Zustände dauerhaft wiederhergestellt werden. Die Maßnahmen haben oft unvorhergesehene Folgen und das bei enorm hohen Kosten (Geld- und oft Gifteinsatz). Ökosysteme hätten auch gar keinen statischen Idealzustand, der erhalten werden muss. Natur ist Veränderung und es findet eine ständige Neuordnung und Anpassung statt. Alteingesessene Arten sind nicht grundsätzlich gut und neue nicht grundsätzlich schlecht. Und wie anders sollen Arten gedeihen und auf den Klimawandel reagieren, als durch das Vordringen in neue Territorien?

Wenn wir Menschen bestimmte Habitate schützen möchten, weil sie uns am Herzen liegen und wir sie erhalten möchten, dann sei daran nichts falsch, so Pearce, aber wir sollten uns im Klaren sein, dass wir das tatsächlich für uns tun und nicht etwa, weil die Natur das braucht – die braucht möglicherweise die neuen Arten, um die menschengemachten Probleme zu bewältigen.

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Fazit

Naturschutz ist wichtig, und die Menschen, die sich ehrenamtlich dafür einsetzen, verdienen Respekt für ihr Engagement. Aber angesichts des Klimawandels und anderer Faktoren, die Standorte verändern, muss Naturschutz neu gedacht werden: Neu ist nicht immer schlecht und alt ist nicht immer gut. Biotope sind von Standortverhältnissen abhängig. Wenn Nährstoffeinträge oder der Klimawandel die Faktoren des Standorts stark verändern, lässt sich das Biotop kaum in der alten Form erhalten. Langfristig werden sich die Arten durchsetzen, die mit den geänderten Standortbedingungen am besten zurechtkommen.

Ursache und Wirkung für die Ausbreitung neuer, vor allem so genannter invasiver Arten, müssen genau analysiert werden. Bei Neophyten darf nicht nur die vermeintlich schlechte und bei der  zurückgedrängten Art nicht nur deren gute Seite in Entscheidungen einbezogen werden. Und falls gegen einen Neophyten Maßnahmen für notwendig erachtet werden, muss untersucht werden, ob diese tatsächlich flächendeckend und rigoros sein müssen, denn möglicherweise trägt der Neophyt zur Beseitigung menschengemachter Probleme bei.

Buchtipp:
Die neuen Wilden*
Wie es mit fremden Tieren und Pflanzen gelingt, die Natur zu retten
Fred Pearce
oekom verlag
ISBN 978-3-86581-768-6

* Werbelink

** Dies ist die gekürzte Version eines Beitrages von mir, der im März 2019 in der Fachzeitschrift Der praktische Gartenratgeber des Obst- und Gartenbauverlages München mit dem Titel „Brauchen wir eine Willkommenskultur im Naturschutz?“ veröffentlicht wurde. Der Obst- und Gartenbauverlag München ist der Verlag des Bayerischen Landesverbandes für Gartenbau und Landespflege e. V. und unterstützt mit fachbezogenen Angeboten die Arbeit der Obst- und Gartenbauvereine.

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Neue Viruskrankheit an Tomaten, Paprika & Chili

Das Tomato Brown Rugose Fruit Virus (ToBRFV), auch als Jordanvirus bezeichnet, ist eine neue Krankheit an Tomaten, Paprika & Chili. Diese Viruskrankheit ist für den Tomaten- und Paprikaanbau sehr gefährlich, kann ganze Bestände dahinraffen, weshalb es EU-Notmaßnahmen gibt. Das sollten GärtnerInnen und Hobbygärtnernde wissen.

Symptome des  Tomato Brown Rugose Fruit Virus (ToBRFV) alias Jordanvirus (Foto: Aviv Dombrovsky and Elisheva Smith, CC BY 3.0 <https://creativecommons.org/licenses/by/3.0>, via Wikimedia Commons)
Symptome des Tomato Brown Rugose Fruit Virus (ToBRFV) alias Jordanvirus an Tomaten (Foto von Aviv Dombrovsky and Elisheva Smith unter CC BY 3.0 via Wikimedia Commons)

So erkennt man den Virusbefall mit ToBRFV

  • An den Blättern zeigen sich mosaikartige Verfärbungen und Aufhellungen, teilweise wirken die Blätter blasig aufgewölbt und wie gerafft. Die Pflanzen haben wenig Blattmasse und kaum Zuwachs im oberen Pflanzenbereich.
  • Die Früchte färben sich nicht gleichmäßig und oft nicht bis zur sortentypischen Reifefarbe. Sie haben gelbe, manchmal mosaikartige Verfärbungen, manche (Sorten) färben sich fleckig grün-gelb oder braun. In einigen anderen Ländern wurden befallene Früchte teilweise schrumpelig, was bei uns noch nicht beobachtet wurde.
  • Bei manchen Sorten sterben die Kelchblätter fleckenweise ab (Nekrosen).
  • Die Pflanzen welken, vergilben und sterben ab.
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Die Symptome sind sortenabhängig verschieden und unterschiedlich stark ausgeprägt. Eine sichere Diagnose ist nur mit einem Labortest möglich. Das Problem mit Sorten, die weniger starke Symptome haben, ist, dass diese nicht ernst genommen werden und eine Diagnose und die notwendigen Maßnahmen unterbleiben, wodurch es zu einer unbemerkten Verschleppung und Ausbreitung kommen kann.

Über das Virus

Das Virus ist sehr leicht übertragbar, sehr widerstandsfähig und extrem langlebig. Schon wenige übertragende Viren lassen die Krankheit ausbrechen. Hitze macht ihnen offenbar wenig aus und sogar über 50 Jahre alter eingetrockneter Pflanzensaft kann noch infektiös sein. Tomaten und Paprika sind wegen ihrer langen Kulturdauer und den häufigen Pflege- und Erntearbeiten im Bestand besonders gefährdet.

Entdeckt wurde das Virus 2014 in Israel, beschrieben wurde es 2015 in Jordanien (deshalb „Jordanvirus“). Im Herbst 2018 hat man ToBRFV erstmalig in Deutschland diagnostiziert. Inzwischen ist es in zahlreichen Ländern Vorderasiens, Europas (zuletzt wurde es in Finland in einem kleinen Tomaten-Gewächshaus entdeckt), Nordamerikas sowie in China und anderswo aufgetreten.

In den betroffenen Ländern werden seitdem viele Anstrengungen unternommen, das Virus wieder loszuwerden. In Deutschland wurde es im Oktober 2018 als Quarantäne-Organismus eingestuft und behandelt, was bedeutet, dass alle befallenen Pflanzen in den Betrieben vernichtet wurden.

2019 wurde das Jordanvirus in Deutschland für ausgerottet erklärt. Doch laut National Plant Protection Office (NPPO) Deutschland gab es von Oktober 2020 bis November 2021 wieder drei Ausbrüche in Nordrhein-Westfalen (Saatgutproduktion, Erwerbsanbau, privater Anbau), einen Ausbruch in Rheinland-Pfalz (Erwerbsanbau), einen Ausbruch in Niedersachsen (Erwerbsanbau) und einen in Thüringen (Erwerbsanbau).

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Das Virus und seine Wirtspflanzen

Das ToBRFV gehört wie das Tabakmosaikvirus (TMV) und das Tomatenmosaikvirus (ToMV) zur Gattung Tobamo-Virus.

Bei den Gemüsen sind vor allem Tomaten und Paprika gefährdet. Es scheint wissenschaftlich noch nicht zweifelsfrei geklärt, aber doch eher unwahrscheinlich, dass Auberginen und Kartoffeln erkranken oder Überträger sein können.

Unter den Zierpflanzen gehören Petunien und Tabak/Ziertabak zu den Wirten. An folgenden Arten Beikräutern/Wildpflanzen wurde das Virus ebenfalls schon diagnostiziert: Rauhaariger Amaranth (Amaranthus retroflexus), Wilde Rübe (Beta vulgaris subsp. maritima), Mauer-Gänsefuß (Chenopodium murale), Kanadisches Berufkraut (Conyza canadensis), Löwenzahn (Taraxacum officinale), Malve (Malva parviflora), Horn-Sauerklee (Oxalis corniculata), Portulak (Portulaca oleracea), Veronika (Veronica syriaca), Nachtschatten (Solanum elaeagnifolium), Schwarzer Nachtschatten (Solanum nigrum) und  Langkapselige Jute/ Molokhia (Corchorus olitorius) laut Quelle: EPPO Reporting Service.

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Das Jordanvirus kann durch Samen, Jungpflanzen und Früchte von einem Betrieb beziehungsweise einem Garten zum anderen verbreitet werden. Im Bestand wird es oft bei Kontakt (Aneinanderreiben von Pflanzenteilen) sowie durch Dränagewasser übertragen und  durch Werkzeuge, Kisten, Kleidung, Haare und Hände bei den Pflege- und Erntearbeiten verteilt. Auch Bestäuberinsekten wie Hummeln können das Virus übertragen. Pflanzenreste in der Erde, Keimlinge aus den Samen abgefallener kranker Früchten können zudem die Nachfolgekultur infizieren. Selbst erdelose Kulturverfahren sind nicht sicher, da das Virus auch über die Bewässerung verteilt werden kann.

Vorbeugung gegen das Jordan-Virus

Damit sich das Virus nicht ansiedeln und verbreiten kann, sollten alle Erwerbs-und Freizeit-Gärtner und Gärtnerinnen informiert und wachsam sein.

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Saatgut und Jungpflanzen
Bei der Anschaffung sollte auf gesundes Saatgut und gesunde Jungpflanzen geachtet werden. In die EU dürfen nur noch Samen oder Jungpflanzen mit einem Pflanzengesundheitszeugnis eingeführt werden, innerhalb der EU brauchen Unternehmer einen Pflanzenpass. Freizeitgärtnernde, die Samen oder Jungpflanzen kaufen oder tauschen, sollten nur bekannten Quellen mit gesunden Beständen vertrauen.

Sorten
Sortenresistenzen gegen verwandte Viren wie das Tabakmosaikvirus oder das Tomatenmosaikvirus helfen bei Tomaten nicht, wohl aber teilweise bei Paprika (und zwar scheinen Sorten/Unterlagen mit den Resistenzgenen TM0, TM2 und TM3 nicht von ToBRFV befallen zu werden). Allerdings ist auch die Resistenzzüchtung gegen ToBRFV im Gange, da man in Wildtomaten Resistenzgene gefunden hat. Möglicherweise gibt es in ein paar Jahren gegen ToBRFV resistente Sorten.

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Hygiene
Nicht nur dieses Virus, auch viele andere Krankheitserreger können in/an Blattresten, Samen und verseuchter Erde/Kompost, Haltestäben, Scheren und anderen Werkzeugen überdauern. Spätestens, wenn man Probleme hatte, muss man auch als Hobbygärtner oder Hobbygärtnerin auf Hygiene achten: Kranke Pflanzen von Beeten immer sauber abräumen, Haltestäbe, Bindematerial, Werkzeuge und ähnliches vor Gebrauch (und zwischendrin) desinfizieren.

Gartenbaubetrieben und den Mitarbeitern werden deshalb darüber hinaus konsequente Hygienemaßnahmen empfohlen: Händewaschen, Handdesinfektionsmittel auf Basis von Benzoesäure, Handschuhe, Desinfektionsmatten, Arbeitskleidung, die am Standort bleibt, Reinigung und Desinfektion auch von Transportkisten und Wägen, Wasserdesinfektion, Verbot fremde Tomaten und Paprika in den Betrieb zu bringen sowie das Einhalten einer Arbeitsrichtung (Einbahnstraßenprinzip) und die Einrichtung von Hygieneschleusen. Größere und gefährdete Betriebe sollten zusammen mit Beratern ein individuelles Hygienekonzept entwickeln.

Nachtrag: Hoffnung für den Erwerbsgartenbau
Es zeichnet sich ab, dass eine wirkungsvolle Desinfektion des aufgefangenen Brauchwasser vor der Wiederverwendung mit Ozon oder Ultraschall möglich ist.

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Bestandskontrollen
Regelmäßige Bestandskontrollen sollte man auch wegen anderer Erreger und Schädlinge durchführen, aber jetzt eben auch auf die oben beschriebenen neuen Symptome achten.

Nicht jede auffällige Erscheinung ist eine Krankheit, bei manchen Sorten ist eine ungewöhnliche Zeichnung sortentypisch (beispielsweise die Zeichnung bei ‚Tigerella‘) und Pflegefehler können Symptome wie Grünkragen oder Blütenendfäule hervorrufen (beim ersten bleibt der Kragen um den Stielansatz grün, beim zweiten bleibt das andere Ende der Tomate grünlich oder wird braun).

Nicht jede „Unregelmäßigkeit“ bei der Fruchtausfärbung ist auf eine Krankheit zurückzuführen. Beispiel: Bei der Tomatensorte ‚Tigerella‘* ist eine Musterung sortentypisch.

Neu: Grundstoff Molke zur Desinfektion

In der EU ist Molke als sogenannter Grundstoff für die Desinfektion von Handschuh-Fingerspitzen und Schneidwerkzeugen gegen ToBRFV genehmigt. Grundstoffe sind keine Pflanzenschutzmittel, die als solche auch vermarktet werden dürfen, sondern Substanzen, die aus einem anderen Bereich stammen, aber nützlich zu sein scheinen. Die EU hat einige Grundstoffe für bestimmte „Pflanzenschutz-Anwendungen“ jeweils mit Auflagen genehmigt.

Dies sind die Vorgaben: Erlaubt ist die Anwendung als Viruzid im Gewächshaus und in Innenräumen zur Desinfektion der Handschuh-Fingerspitzen und Schnittwerkzeuge bei mechanisch übertragbaren Viren wie Tabakmosaikvirus (TMV), Tomatenmosaikvirus (ToMV), Pepper mild mottle virus (PMMV), Cucumber green mottle mosaic virus (CGMMV), Tomato brown rugose fruit virus (ToBRFV) bei allen Pflanzen. Konzentration der Molke: 50g/l. Handschuh-Fingerspitzen vor oder nach jedem Pflanzenkontakt für 5 Sekunden eintauchen, Schnittwerkzeuge 5 Minuten lang. Molkepulver mit 80 % Proteingehalt verwenden zwecks Wirksamkeit. Molke-Lösung nach jeder Pflanzenreihe ersetzen. Nicht für die Fingerspitzen kurz vor oder während der Ernte essbarer Pflanzenteile verwenden. (Quelle: Liste der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein, pdf). Bei Gartentomaten ist der Grundstoff Molke übriges als Viruzid gegen das Tomato yellow leaf curl virus/Begomovirus genehmigt: Konzentration der Molke: 60-80g/l. (Quelle und weitere Details: Liste der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein, pdf)

Quarantäne-Schadorganismus

ToBRFV ist ein Quarantäne-Schadorganismus und damit meldepflichtig! Schon der Verdachtsfall muss dem zuständigen Pflanzenschutzdienst gemeldet werden. Das ist beispielsweise in Bayern die

Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft
Institut für Pflanzenschutz
Lange Point 10
85354 Freising
E-Mail: pflanzengesundheit@lfl.bayern.de

Wird man zur Probenahme und Einsendung an ein Labor aufgefordert, geht man mit der Plastiktüte zur Pflanze, nimmt die Probe und verschließt die Tüte. Keinesfalls sollte man verdächtige Pflanzen/Pflanzenteile offen quer durch die Kleingartenanlage oder den Gemüsegarten tragen oder sie gar auf den Komposthaufen geben.

Mit dem Ergebnis der Untersuchung wird man über die eventuell notwendigen Maßnahmen und wie sie durchzuführen sind, informiert.

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